Oberhausen. Die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) haben entschieden: Nutzer in Bewertungsportalen für Ärzte dürfen anonym bleiben – Ärzte sehen die Gefahr eines digitalen Prangers. „Die Kritik im Internet spiegelt die Missstände unseres Gesundheitssystems wider“, heißt es von einer Patientenvertreterin.
Wer früher einen guten Facharzt suchte, verließ sich auf die Empfehlungen von Freunden – heute gehen Patienten dafür ins Netz. Bewertungsportale für Ärzte und Kliniken wie Sanego oder Jameda sind wahre Klickgaranten. Doch machen Patienten nach einer negativen Erfahrung mit einem Arzt ihrem Ärger im Internet mithin hemmungslos Luft und wähnen sich dabei im Schutze der Anonymität.
Zu Recht – denn diese soll auch weiterhin gewahrt bleiben, wie jetzt die Richter des Bundesgerichtshof in Karlsruhe (BGH) entschieden: Demnach müssen Internetdienste nicht die Namen anonymer Nutzer an Privatpersonen herausgeben, wenn diese sich danach erkundigen. Ein Arzt aus Baden-Württemberg hatte erfolglos gegen den Anbieter Sanego geklagt und die Daten eines Nutzers gefordert, der sich im Internet rufschädigend gegen ihn geäußert hatte.
"Das Netz vergisst nichts"
Bei Oberhausener Ärzten sorgt das Urteil größtenteils für Kritik. Allgemeinmediziner Mahmoud Maysami vom Qualitätsnetz Oberhausener Ärzte (Quali-Net) etwa bezweifelt die generelle Aussagekraft solcher Beurteilungen im Netz: „Manchmal hat ein Patient womöglich einfach einen schlechten Tag gehabt und empfindet bei seinem Arztbesuch alles als negativ. Dann lässt er im Internet anonym Dampf ab und niemand kann überprüfen, was an den Vorwürfen wirklich dran ist.“ Eine solche Form von Kritik sei nicht nur rufschädigend, sondern auch nicht zielführend, da der betroffene Arzt somit gar nicht erst von der Unzufriedenheit eines Patienten erfahre, geschweige denn, Position dazu beziehen könne.
„Das Netz vergisst nichts“, so Maysami, was nicht bedeute, dass seine Zunft nicht offen für konstruktive Kritik sei: „Bei Quali-Net nehmen wir das Thema sehr ernst und freuen uns immer über Verbesserungsvorschläge. Außerdem können Patienten sich jederzeit mit Kritik an die Fachverbände wenden.“
"Die Portale sind ein Pranger"
Ähnlich sieht es Peter Kaup von der Kreisstelle Oberhausen der Ärztekammer Nordrhein: „Natürlich sind diese Portale ein Pranger“, moniert er. Auch seien die Beurteilungen keinesfalls repräsentativ für die gesamte Patientenschaft eines Arztes: „Wenn ein Arzt im Schnitt etwa 6000 Patienten im Jahr hat und im Internet stehen dann fünf bis zehn Beurteilungen – für wie verlässlich halten Sie solche Äußerungen dann?“ fragt er polemisch und sieht in der aktuellen Entwicklung auch die Gefahr der Demotivation für den medizinischen Nachwuchs: „Als Kammer versuchen wir immer, qualifizierte Kollegen zu ermutigen, sich als Hausärzte niederzulassen - gerade im ländlichen Bereich. Wenn dann im Internet anonym negative Bewertungen verbreitet werden, überlegt sich das ein angehender Hausarzt sicherlich zweimal.“
Information über rechtliche Fragen
Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) besitzt bundesweit 21 Beratungsstellen – die Niederlassung in Dortmund deckt das Ruhrgebiet und Südwestfalen ab.
Die Mitarbeiter informieren u. a. über die Dauer und Form von Krankenkassen-Leistungen und berät Patienten in gesundheitsrechtlichen Fragen. Das Beratungsangebot gilt für Kassen- und für Privatpatienten gleichermaßen.
Beim Katholischen Klinikum Oberhausen reagiert man hingegen eher unaufgeregt auf das Thema: „Wir pflegen bei uns im Haus eine offene Kommunikationskultur und das funktioniert auch sehr gut“, sagt Sprecherin Anette Kary. „Der persönliche Weg ist da sicherlich der bessere. Generell sind die Portale für unsere Ärzte kein so großes Thema.“
"Nicht die reine Wahrheit"
Doch wie stehen die Patienten zu Sanego, Jameda und Co.? Katja Bakarinow-Busse, Leiterin der Unabhängigen Patientenberatung in Dortmund, die auch für Oberhausen zuständig ist, deutet den zuweilen rauen Ton in den Online-Foren als Ausdruck eines Kommunikationsproblems zwischen Arzt und Patient: „Die Kritik im Internet spiegelt die Missstände unseres Gesundheitssystems wider. So beschweren sich Patienten zum Beispiel darüber, dass sie in zwei Minuten von ihrem Arzt abgefertigt würden.“ Doch sei dies nicht allein den Medizinern anzulasten, die in der Praxis oft in straffe Strukturen eingebunden seien und unter Zeitdruck litten. „In zwei Minuten kann man niemanden wirklich ernstnehmen“, so Bakarinow-Busse. Doch eines solle im Hinblick auf die Bewertungsportale nicht vergessen: „Die reine Wahrheit gibt es dort nicht.“