Essen. . Ein BGH-Urteil hat entschieden: Nutzer in Bewertungsportalen für Ärzte dürfen im Netz anonym bleiben – Essener Ärzte fürchten zum einen die Gefahr eines digitalen Prangers, sehen aber auch Chancen in der Entwicklung, dass das Gesundheitssystem im Web 2.0 angekommen ist.

Wer früher einen guten Facharzt suchte, verließ sich auf die Empfehlungen von Freunden – heute gehen Patienten dafür ins Netz. Bewertungsportale für Ärzte und Kliniken wie Sanego oder Jameda sind wahre Klickgaranten. Doch machen Patienten nach einer negativen Erfahrung mit einem Arzt ihrem Ärger im Internet mithin hemmungslos Luft und wähnen sich dabei im Schutze der Anonymität. Zu Recht – denn diese soll auch weiterhin gewahrt bleiben, wie jetzt ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe (BGH) entschied: Demnach müssen Internetdienste nicht die Namen anonymer Nutzer an Privatpersonen herausgeben, wenn diese sich danach erkundigen. Ein Arzt aus Baden-Württemberg hatte erfolglos gegen den Anbieter Sanego geklagt und die Daten eines Nutzers gefordert, der sich im Internet rufschädigend gegen ihn geäußert hatte.

Bei Essener Ärzten löst das Urteil gemischte Reaktionen aus: Viele fürchten nun mehr denn je die Gefahr eines digitalen Prangers, sehen aber auch Chancen in der Entwicklung, dass auch das Gesundheitssystem offenbar unwiederbringlich im Web 2.0 angekommen ist. So versuche man beim Universitätsklinikum etwa nicht, Bewertungsportale zu ignorieren, sondern vielmehr für die eigenen Zwecke zu nutzen, erläutert Oliver Kirch, Leiter der Abteilung Unternehmenskommunikation und Marketing am Uniklinikum: „Der Bereich Social Media wird immer wichtiger – mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringen kann. Wir lesen zum Beispiel die Beurteilungen in den Portalen, die uns betreffen, regelmäßig und leiten Kritik und Anregungen nach Möglichkeit weiter.“ Das Bedürfnis, als Nutzer solcher Plattformen anonym bleiben zu wollen, könne er grundsätzlich nachvollziehen und sehe darin nicht gleich einen Freibrief zum digitalen Rufmord: „Bei so einer Beurteilung gibt man ja auch Details seiner Krankengeschichte preis – allein deshalb möchten wohl die wenigsten dort namentlich genannt werden. Die Meinungsfreiheit im Internet ist ein wertvolles Gut, und damit sollten alle Beteiligten heute umgehen können.“

Lügen und Verleumdnungen

Kritischer sieht das Jürgen Marsch, denn der Essener Schönheitschirurg hat selbst schon einmal eine vernichtende Kritik in einem Bewertungsportal hinnehmen müssen. Dabei ging es um eine Meinungsverschiedenheit mit einer Patientin bei einer Nasenoperation – für eine Nachkorrektur hatte die Dame spezielle Wünsche geäußert, die Marsch fachlich nicht vertreten konnte. Rückblickend sagt er heute: „Damals gab ein Wort das andere und ich gebe zu, dass ich mich am Ende im Ton vergriffen habe.“

Allerdings stünde die Beurteilung im Internet in keinem Verhältnis zu den tatsächlichen Begebenheiten und enthielt zudem Lügen und bloße Verleumdungen. Marsch versuchte dagegen anzugehen und wandte sich an den Betreiber der Seite – vergeblich. Bei Jameda sagte man ihm, er könne eine Gegendarstellung veröffentlichen, wovon man ihm allerdings abriet. „Dort hieß es: Wenn Sie sich rechtfertigen, machen Sie sich nur noch unglaubwürdiger“, so Marsch. „Im Internet gibt es schnell eine Kultur der Vorverurteilung, nach dem Motto: Irgendwas wird an der Geschichte schon dran sein.“

Kritiker halten die Beurteilungen in den Portalen auch aus einem anderen Grund für nicht sonderlich aussagekräftig: So könnten sich theoretisch dort Ärzte als Nutzer mit verschiedenen Email-Adressen registrieren lassen und gezielt positive Beurteilungen lancieren – ein Trend, der in Bewertungsportalen von Hotels längst als verbreitet gilt.

Kommunikationsprobleme zwischen Arzt und Patient

Auch Heilpraktikerin Angelika Stets, die eine Praxis in Rüttenscheid betreibt, hält die einschränkungslose Anonymität der Nutzer in den Bewertungsportalen für problematisch: „Jemand, der öffentlich eine scharfe Kritik an einem Arzt äußert, sollte auch mit seinem vollen Namen dafür geradestehen. Das ist eine Sache der Fairness.“ Zwar könnten gute Beurteilungen auch einen positiven Einfluss auf den Ruf des Arztes haben, doch solle man die Portale nicht zum einzigen Kriterium für die Suche nach einem passenden Facharzt erheben, empfiehlt Stets: „Bei der Wahl eines Arztes oder Therapeuten spielen viele verschiedene Faktoren eine Rolle – auch die zwischenmenschliche Chemie.“ Somit könne ein Bewertungsportal lediglich eine Entscheidungshilfe für Patienten sein.

Doch wie stehen die Patienten zu Sanego, Jameda und Co.? Katja Bakarinow-Busse, Leiterin der Unabhängigen Patientenberatung in Dortmund, die auch für Essen zuständig isst, deutet den zuweilen rauen Ton in den Online-Foren als Ausdruck eines Kommunikationsproblems zwischen Arzt und Patient: „Die Kritik im Internet spiegelt die Missstände unseres Gesundheitssystems wider. So beschweren sich Patienten zum Beispiel darüber, dass sie in zwei Minuten von ihrem Arzt abgefertigt würden.“ Doch sei dies nicht allein den Ärzten anzulasten, die in der Praxis oft in straffe Strukturen eingebunden seien und unter Zeitdruck litten. „In zwei Minuten kann man niemanden wirklich ernstnehmen“, so Bakarinow-Busse. Doch eines solle im Hinblick auf die Bewertungsportale nicht vergessen: „Die reine Wahrheit gibt es dort nicht.“

INFO: Anlaufstelle für Patienten

Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) besitzt bundesweit circa 21 Beratungsstellen – die Niederlassung in Dortmund deckt das Ruhrgebiet und Südwestfalen ab. Sie informiert u. a. über die Dauer und Form von Krankenkassen-Leistungen und berät Patienten in gesundheitsrechtlichen Fragen. Das Angebot gilt für Kassen- und für Privatpatienten gleichermaßen.