Oberhausen. Die Oberhauserin Carmen Hölscher möchte Erzieherin werden. Aufgrund der Personaldecke in den Kitas rechnete sie sich gute Chancen aus. Die Arbeitsagentur stellte ihr auch zunächst eine finanzielle Förderung in Aussicht. Die gibt es nun nicht, weil ein Gutachten mangelnde Voraussetzungen bescheinigt.

Carmen Hölscher möchte Erzieherin werden. Sie rechnet sich gute Jobchancen aus, denn die Personaldecke in den Oberhausener Kindertageseinrichtungen ist bekanntlich dünn. Ihr Studium hatte die 37-Jährige aus gesundheitlichen Gründen abbrechen müssen. Doch nachdem die Agentur für Arbeit ihr erst eine Förderung in Aussicht gestellt hatte, lehnte sie diese nun ab. „Laut medizinischem Gutachten bin ich nicht geeignet“, stellte die Oberhausenerin entrüstet fest.

Das Gutachten bescheinige ihr eine generell verringerte Leistungsbreite. „Da steht sogar drin, dass neurologische Defizite nicht auszuschließen sind“, erzählt Carmen Hölscher fassungslos. Richtig sei, dass sie von Geburt an an einer Gefäßmissbildung im Kopf gelitten habe. „Die wurde erst vor wenigen Jahren erkannt, weil all die Migräne-Mittel, die ich bis dahin erhalten hatte, nie wirkten.“

In der St.-Josef-Klinik wurde die lebensbedrohliche Ausbuchtung gerade noch rechtzeitig entdeckt. „Vier Operationen später verließ ich die Essener Uni-Klinik als – bis auf eine Gesichtsfeldeinschränkung am rechten Auge – gesunde Frau.“ Leider aber sei diese Krise ausgerechnet in eine Zeit gefallen, in der ihr Geschichts- und Philosophie-Studium auf Lehramt reformiert worden sei. „Als ich weiter studieren wollte, hieß es, die Übergangszeit sei verstrichen, meine Scheine könnten nicht mehr anerkannt werden. Ich müsste von vorne beginnen.“

Den dementen Großvater gepflegt

Dazu hatte Carmen Hölscher, die bereits kurz vor dem Abschluss gestanden hatte, aber keine Lust mehr. Also pflegte sie erst einmal ihren an Demenz erkrankten Großvater. „Ihm zu helfen, machte mir Spaß, die Arbeit mit Kindern war immer mein Ziel – also kam ich auf die Idee, mich zur Erzieherin umschulen zu lassen“, erzählt sie weiter. Zumal sie während des Studiums bereits ein Praktikum in einem Kindergarten gemacht habe und dort nun auch ihr Anerkennungsjahr absolvieren könne, berichtet sie.

Die Sachbearbeiterin in der Agentur für Arbeit habe sie zunächst nach Kräften unterstützt. Bis es zu dieser sozialmedizinischen Untersuchung gekommen sei. „Die Gutachterin und ich waren uns von Anfang an nicht grün“, räumt Hölscher ein. Denn gleich die erste Frage habe sie irritiert. „Wieso ich denn nicht bei Facebook sei, wollte die Allgemeinmedizinerin von mir wissen.“ Der Gipfel aber seien die Fragen zu ihren sexuellen Vorlieben gewesen: „Sie wollte zum Beispiel wissen, welche Unterwäsche ich trage!“ Carmen Hölscher machte ihrem Unmut über die Art der Befragung Luft und erhielt „zum Dank dafür“ – wie sie meint – eine Stellungnahme, die ihr unter anderem eine „eingeschränkte Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit“ bescheinigt. Und in der steht: „Der Berufswunsch der Erzieherin erscheint aus ärztlicher Sicht problematisch. Hier muss mit einer psychomentalen und teils auch körperlichen Überforderung gerechnet werden.“

Ein Urteil, durch das sich Carmen Hölscher stigmatisiert sieht – und gegen das sie kämpfen will. Am 10. Juli hat sie bereits einen Termin bei einer Essener Neurologin, die vor Gericht auch als Gutachterin tätig ist.

Es geht nicht um Schikanen

Michael Kinzler, Pressesprecher der Regionalpressestelle Ruhr der Arbeitsverwaltung, bezieht für die Oberhausener Agentur für Arbeit Stellung: „Fragen nach den sexuellen Vorlieben? Das weisen wir mit großem Nachdruck von uns!“ Solche Fragen würden sicher nicht gestellt.

Es gehe bei den psychologischen und medizinischen Untersuchungen nicht um Schikanen. „Sondern wir sind verpflichtet, die Voraussetzungen zu überprüfen.“ Da könne etwa die Frage fallen, ob jemand selbst Kinder habe. „Aber es muss doch stets einen Zusammenhang zum Berufsfeld geben“, betont Kinzler.

Schließlich stehe die Agentur in der Verantwortung für ihre Maßnahmen. „Und natürlich für die Kinder, die später mit dem Bewerber zusammenarbeiten.“ Denn wer mit Kindern arbeite, müsse über ein hohes Maß an Stresstoleranz verfügen.

Ausbildung selbst finanzieren

Persönliche Angaben zu Carmen Hölscher dürfe er aus datenschutzrechtlichen Gründen zwar nicht machen. Aus Erfahrung wisse er aber: „Unsere Medizinerin rät in solchen Fällen meist selbst zu einer Vorstellung bei einem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.“ Entbinde der Bewerber den Mediziner dann von der Schweigepflicht, könne er mit der Ärztin der Agentur für Arbeit Kontakt aufnehmen und offene Fragen klären. „In diesem Fall können wir auch die Kosten für ein Gutachten übernehmen.“ Falle dieses entsprechend aus, werde die Agentur die Kosten für die Umschulung auch übernehmen.

Darüber hinaus stehe es Carmen Hölscher frei, ihre Ausbildung zur Erzieherin finanziell selbst zu tragen. Dafür müsse sie sich nur an das Käthe-Kollwitz-Berufskolleg wenden. Carmen Hölscher kontert: „Die Ausbildung dauert Jahre, das kann ich mir doch gar nicht leisten.“