Oberhausen. Der heute 90-jährige Hermann Hüwels war der Jüngste unter zehn Geschwistern. Nach jedem Angriff radelte er zu allen Verwandten, „ob die Häuser noch stehen“.Ursula und Hermann Hüwels besitzen zahlreiche Alben und „Schatzkistchen“ mit Erinnerungsstücken – sogar aus dem Ersten Weltkrieg.

„Man forscht und schreibt zum Firmenjubiläum“, meint Helga Thomas, „und weiß kaum etwas über die Jugend der eigenen Eltern“. Die Tochter von Ursula und Hermann Hüwels hatte ihren 91 und 90 Jahre alten Eltern Mut gemacht, als Zeitzeugen von den Bombennächten zu erzählen. Sie selbst schrieb diese Geschichte schon vor zwei Jahren auf: als „Hüwels-Familien-Chronik“ zur Diamantenen Hochzeit (nach 60 Ehejahren) ihrer Eltern.

Das Titelbild dieses selbst gedruckten Bildbandes zeigt allerdings die Eheleute Josefa und Leonhard Hüwels aus Schmachtendorf, Eltern von zehn Kindern. Der heute 90-jährige Hermann Hüwels war der Jüngste – sein ältester Bruder bereits 20 Jahre älter. Bei Beginn des Krieges hatte er gerade die Lehre für seinen „Traumberuf“ als Autoschlosser angetreten. Die Firma Heinrich Plätz ist bis heute bekannt als VW-Vertragshändler. Dem Lehrherrn des Volksschul-Absolventen war’s egal, dass Hermann Hüwels keine Papiere der Hitlerjugend vorweisen konnte.

"War ein eifriger Soldat"

Der zielstrebige Lehrling schrieb sich für die Wochenenden an der Staatlichen Ingenieurschule in Duisburg ein – bis sie im vorletzten Kriegsjahr schloss. Soldat wurde Hermann Hüwels „als letzter von sieben Brüdern“. Einer blieb als Fahrsteiger auf seiner Zeche unentbehrlich – doch auch der 1,90 Meter große Jüngste hatte bis zur Gefangenschaft Glück: Er passte in keine Stiefel und Uniformen, „war aber ein eifriger Soldat“, wie er mit hörbarer Ironie sagt. „Ich habe keinen einzigen Schuss abgefeuert.“

Bis er im November 1944 ausrücken musste, hatte er nach jeder Bombennacht die Pflicht, „als letzter von sieben Brüdern“ bei allen Schwägerinnen vorbei zu radeln, ob alle den Luftangriff unversehrt überstanden hatten „und die Häuser noch ganz waren“. Einen Treffer auf die Gaststätte Gerlach musste er mit ansehen. 32 Nachbarn hatten dort im Kellerraum Zuflucht gesucht. „Genau der Punkt wurde getroffen“, sagt Hermann Hüwels. „Die Toten habe ich gesehen, abgelegt im Gemeindehaus. Ich kannte sie alle.“

Die Nachricht, dass einer seiner sieben Brüder gefallen war, musste der jüngste Sohn seiner Mutter beibringen. Helga Thomas erwähnt es – doch ihr Vater macht eine kleine Geste. Nein, davon erzählt er nicht.

35 Kilometer Luftlinie beträgt die Entfernung

Als Soldat des letzten Kriegsjahres sah er zwei Städte brennen – die eigene am Jahresende 1944 von Haltern aus. 35 Kilometer Luftlinie beträgt die Entfernung – „man meinte, es wäre die andere Straßenseite“. Am 13. Februar 1945 war Hermann Hüwels in Dresden, das Bombardement, den Brand und die 23.000 bis 25.000 Toten drängt er in den einen Satz: „Noch nie im Leben bin ich so gerannt.“ Eine Elbinsel war für ihn rettende Zuflucht.

Mit mehr als 100.000 weiteren Kriegsgefangenen musste Hermann Hüwels seit April 1945 in Rheinberg ausharren „sechs Wochen unter freiem Himmel, vom Regen nass, von der Sonne getrocknet“. 4000 Mitgefangene haben dieses Lager nicht überlebt. „Davon sind meine Füße heute noch verfroren“, sagt der 90-Jährige. Am 3. August war er wieder bei seiner Familie. Der letzte Bruder kehrte erst 1947 aus Amerika heim. Es war das Jahr, in dem der Jüngste seine Zukünftige fand.