Oberhausen.. 70 Jahre sind die Luftangriffe der Alliierten auf das Ruhrgebiet während des Zweiten Weltkriegs her. Sie brannten sich tief in die Erinnerung der Menschen ein. Wir haben Zeitzeugen aufgerufen, ihre Erinnerungen zu teilen. Der Oberhausener Gerd Plasmeier schreibt von einer Osternacht 1943.

Das Jahr 1943 war aufregend und ereignisreich. Wir lebten im vierten Kriegsjahr, die Zeiten waren nicht rosig. Immer häufiger traten Engpässe bei der Versorgung mit lebenswichtigen Gütern auf und an den Kriegsfronten in Ost und West war der Siegestaumel in verlustbringende Abwehrschlachten umgeschlagen.

Auch für mich war dieses Jahr besonders erlebnisreich. Ab Januar ging ich nun wieder in die Hiberniaschule an der Landwehr, in die ich 1940 eingeschult worden war. Im März 1942 war ich mit meiner Mutter nach Ostpreußen evakuiert worden. Dort besuchte ich eine einklassige Dorfschule. Nach meiner Rückkehr war es nicht leicht, mich in das bestehende Klassenniveau einzugewöhnen. Ich kam in ein für mich neues, anderes Schulsystem, als ich es aus Ostpreußen kannte.

Die Heilige Kommunion

Das zweite große Ereignis im Jahr 1943 war meine erste Heilige Kommunion. Meine Eltern hatten mich bei dem zuständigen Pfarrer Ludwig Causemann in St. Antonius zur Vorbereitung angemeldet. Der Unterricht fand im Bürgerhaus, jetzt Carl-Sonnenschein-Haus, statt. Noch war dieses schöne Vereinshaus, das der Pfarre gehörte, unbeschädigt; es wurde erst im Juni 1943 völlig zerstört.

Die Kapläne Pörtner und Finken bemühten sich, uns in die Geheimnisse des Glaubens einzuweisen. Dabei konnten sie nicht auf Basiswissen aufbauen, wie es nach der Kriegszeit in den Schulen vermittelt wurde. Denn bei den Nationalsozialisten war Religionsunterricht in Schulen tabu.

Kriegslage an der Kaffeetafel

Unsere Erstkommunion fand, aus welchen Gründen auch immer, Ostern statt. Es war der 25. April 1943, als wir zum Tisch des Herrn geführt wurden. An der Kaffeetafel bei der Kommunionfeier wurde über die Kriegslage gesprochen. Onkel Martin war mit seinem Lkw dienstverpflichtet. Er gehörte einer Sondertruppe an, die bevorzugt im Luftschutz und in der Beseitigung von Schäden eingesetzt wurden. Onkel Martin prophezeite mir, dass ich in der kommenden Nacht ruhig schlafen könne, aber in der darauffolgenden Nacht würden uns die Tommys die Hucke voll hauen.

Wie recht er hatte, denn in der Nacht von Ostermontag auf Dienstag – es war die Nacht vom 26./27. April – war der Tommy da. Gegen 2 Uhr setzte der bisher schwerste Bombenangriff, den Oberhausen erlebt hatte, ein.

Schlaftrunken war ich mit meinen Eltern und meiner Schwester mit ihrem Kind in den Keller gestolpert. Und dann brach das Inferno über uns herein. Es krachte und knallte um uns herum, wir warteten darauf, dass der nächste Treffer unserem Haus und damit unserem Leben ein Ende setzte.

Gebete im Keller

In der staubgeschwängerten Luft des Kellers lag meine Schwester schützend über ihrem Kind; Tante Anni, rief mit ihren Gebeten die Hl. Gottesmutter an und ich hatte mich in einigen Kleidern verkrochen, die in der Mitte des Kellers hingen. Nach jedem Bombeneinschlag wackelte alles um uns herum. Im Nebenkeller fiel eine Regalwand mit Einweckgläsern um und machte einen Höllenlärm. Wir dachten unser Ende ist gekommen. Wir warteten auf den Gnadenstoß.

Als der Bombenangriff nach einer Stunde vorbei war, haben wir uns in tiefer Dankbarkeit nach unserem Schutzengel umgesehen. Wir waren noch einmal davongekommen.

Es fielen Bomben, Granaten und Luftminen

In den Annalen des Stadtarchivs ist dieser Angriff dokumentiert. Demnach fielen in dieser Nacht, von 120 Flugzeugen abgeworfen: 70 Luftminen, 275 Sprengbomben, 7000 Phosphorgranaten und 45000 Stabbrandbomben. Dabei wurden 7000 Häuser total bis leicht beschädigt, elf Kirchen wurden zerstört, davon acht total – so auch St. Antonius.

Die Wohnung war ein Trümmerhaufen

Unsere Wohnung stand zwar noch, war aber ein Trümmerhaufen. Fenster und Decken waren zerstört, über allem lag eine dicke Mörtelschicht. 50 Meter neben unserem Haus war eine Luftmine eingeschlagen und 200 Meter weiter war das Haus von Peters völlig zerstört. Das Ehepaar Peters lag verschüttet unter den Trümmern. Auch die gegenüber liegende Hiberniaschule war stark beschädigt worden. Trotz des Verbots meiner Eltern hatte ich mich an das zerstörte Petershaus herangeschlichen. Hier traf ich meinen Patenonkel Martin, der mit seinen Trupp dabei war, die Verschütteten zu bergen. Er sagte mir zuerst: „Wat mäks du dann hie?“ Dann: „Wat häb ik dä gesecht?“ Von diesem Zeitpunkt an glaubte ich, Onkel Martin ist ein Hellseher, denn er hatte ja zwei Tage zuvor das Geschehen prophezeit.

Nach diesem schrecklichen Bombenangriff wurde die Bevölkerung von den Nazis mit einer Sonderzuteilung belohnt. Es gab pro Nase: zehn Zigaretten, 50 Gramm Bohnenkaffee und 0,35 Liter Branntwein.

In der Kirche bot sich ein Bild des Schreckens

Osterdienstag sollte ein Dankgottesdienst in St. Antonius stattfinden. Trotz aller Vorkommnisse der letzten Nacht ging ich zur Kirche. Am Kirchplatz angekommen, bot sich mir ein Bild des Schreckens. Ich sah durch die verbrannte Kirchentüre in einen völlig ausgebrannten Kirchenraum. Orgelbühne und die Decke waren eingestürzt, das Mobiliar verbrannt. Die Stätte, an der ich zwei Tage zuvor meine erste Hl. Kommunion empfangen hatte: ein einziges Chaos.

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