Oberhausen. . Eine Mädchengruppe aus Osterfeld verlegt am 27. Februar einen Stolperstein für Bernhard Kainer. Er, seine Mutter und seine Schwestern mussten aus Nazi-Deutschland fliehen, weil sie Juden waren. Bei ihren Recherchen konnten die Jugendlichen über Facebook Kontakt zu dem 86-Jährigen herstellen.

Stell Dir vor, Du recherchierst die Geschichte einer Osterfelder Familie, die vor den Nazis fliehen musste, für die Du als Erinnerung einen Stolperstein verlegen willst – und dann stellst Du fest, dass ein Sohn dieser jüdischen Familie noch lebt, sogar auf eine allgemeine Anfrage über Facebook reagiert.

Dieser unwahrscheinliche Fall ist passiert: Die Mädchengruppe vom Jugendhaus der evangelischen Auferstehungs-Kirchengemeinde in Osterfeld steht in E-Mail-Kontakt mit Bernhard Kainer, 86 Jahre alt, wohnhaft in Florida. Kainer musste 1938 elfjährig mit seiner Mutter Gertrud nach Kolumbien fliehen, von dort aus emigrierte er in die USA. Seine Eltern hatten das Warenhaus Oster & Co. an der Hauptstraße 29 in Osterfeld, später Bottroper Straße 174, geführt.

Dokumente der Gestapo

In der Nähe, an der Bottroper Straße 159, verlegen Hannah Alexander (17), Sarah Roth (17), Laura Hübner (18) und Laura Kempmann (18) am heutigen Donnerstag zusammen mit Sozialarbeiterin Michaela Leyendecker und Diplom-Pädagogin Cornelia Schade Stolpersteine: für Bernhard Kainer, seine Mutter Gertrud und seine Schwestern Irma und Herta. Wegen ihrer jüdischen Religion durfte die älteste Tochter Irma nicht studieren, sie floh 1933. Herta und Bernhard wurden 1933 bzw. 1937 der Schule verwiesen. Herta Kainer verließ Deutschland 1934 Richtung Palästina, Vater Salomon Kaiser starb 1936 in Deutschland.

Als die Gruppe des Jugendhauses sich dazu entschloss, an der Stolperstein-Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig teilzunehmen und die Patenschaft für Erinnerungstafeln zu übernehmen, da „wollten wir was über Mädchen machen“, sagt Sarah Roth.

Archivmaterial zur Familie besorgt

Auf Vorschlag von Katrin Dönges von der Gedenkhalle besorgten sie sich Archivmaterial zur Familie Kainer. Die jungen Forscherinnen bekamen Dokumente der Gestapo, Fotos, Schriften – alles interessant, aber auch sehr trocken. Und dann hatte eine die Idee, über Google und Facebook nach Angehörigen, einem Sohn oder Enkel, in den USA zu suchen. Die Kontakte mit dem Namen Kainer wurden angeschrieben, aber es tat sich nichts.

Bis eine Kollegin von Michaela Leyendecker sie auf ein Antwort-Schreiben im E-Mail-Fach der Gemeinde aufmerksam machte. „Unfassbar“, kommentiert die Sozialarbeiterin diese Reaktion des 86-Jährigen, die alle sehr berührt hat. „Er freut sich sehr, dass die Stolpersteine verlegt werden und er möchte die Verlegung per Skype [Internet-Bildtelefon, Anm. der Red.] miterleben.“

Für Aktion viel Dankbarkeit

Dass Bernhard Kainer selbst die Idee dazu hatte und dafür heute wegen der Zeitverschiebung um 4 Uhr aufstehen muss, dass der 86-Jährige überhaupt bei Facebook ist und skypt, findet Sarah beeindruckend. Hannah bewegt, dass durch den Kontakt „dieser Teil der deutschen Geschichte für uns greifbar wird. Das ist überhaupt nicht mehr weit weg.“ Sehr beeindruckt ist die Gruppe davon, dass Bernhard Kainer für die Aktion soviel Dankbarkeit empfindet, ihm soviel daran liegt und er sich auf sie eingelassen hat. „Er ist nicht verbittert und offen für uns, das ist nicht selbstverständlich“, sagt Cornelia Schade.

Denn mit seiner Flucht, dem Schicksal seiner Familie und der Ermordung von Millionen Juden durch die Nationalsozialisten konnte der 86-Jährige nicht abschließen. „Er hat geschrieben, dass er immer noch in psychologischer Behandlung ist, nach dem Warum sucht“, erzählt Leyendecker. Nein, Schuldgefühle hätten sie als Deutsche angesichts dieser Historie nicht, „aber es ist wichtig, dass alle Bescheid wissen darüber, damit das nicht noch mal passiert“, bekräftigt Laura Kempmann.