Oberhausen.
„Hier habe ich meine erste Zigarette geraucht. Hier habe ich bei den Westdeutschen Kurzfilmtagen jahrelang jeden Film gesehen, mich alljährlich gefreut auf die Tage in Oberhausen. Diese Ereignisse waren für mich, für meinen Entschluss Filme zu machen, wichtig.“ (Wim Wenders)
Alles begann 1954, als der damalige Leiter der Oberhausener Volkshochschule, Hilmar Hoffmann, in Zusammenarbeit mit dem Filmclub Oberhausen die 1. Westdeutschen Kulturfilmtage ins Leben rief – und damit das allererste Kurzfilmestival der Welt.
Das Motto der ersten Veranstaltung: „Kulturfilm – Weg zur Bildung“. Mit Inbrunst beschwor der damalige Oberstadtdirektor Anton Schmitz denn auch in seiner Eröffnungsrede die beiden Zwecke des Kulturfilms damals, „Volksbildung und Jugendpflege“.
Zum bildungspolitischen Auftrag der Gründerzeit gesellte sich schon 1958 das Motto „Weg zum Nachbarn”, das bis in die 90er Jahre hinein das Festival prägen sollte. 1959 wurden aus den „Kulturfilmtagen“ die „Kurzfilmtage“, die sehr bald politisch Furore machten: Filme aus dem „Ostblock” konnte man nur in Oberhausen sehen, ein Umstand, der mit Sicherheit zum raschen Aufstieg der Kurzfilmtage und zu ihrem Ruf als „Mekka des Kurzfilms” beitrug.
Doch nicht nur der Ostblock beteiligte sich. Schon beim vierten Festival 1958 waren 29 Länder im Programm vertreten. In den 50er Jahren sah man in Oberhausen Arbeiten von jungen Filmemachern wie François Truffaut oder Lindsay Anderson und vielen anderen, die bald berühmt werden sollten.
Befreiungsschläge
1962 wurde bei den Kurzfilmtagen das Oberhausener Manifest verkündet. Im Gegensatz zum Mythos riefen die jungen Filmemacher, unter ihnen Alexander Kluge, Peter Schamoni und Edgar Reitz, nicht „Opas Kino ist tot!”. Sie erklärten vielmehr den alten Film für tot, verkündeten ihren Anspruch, den neuen deutschen Spielfilm zu schaffen – und beeinflussten so die deutsche Filmlandschaft auf Jahrzehnte hinaus.
Gesellschaftlich ebenso wie im Kurzfilm waren die 60er Jahre das Jahrzehnt der Befreiung von Konventionen, und nirgends war dies so deutlich zu sehen wie in Oberhausen, das in seiner Geschichte konstant das Bestehende hinterfragt hat und so dem Neuen gegenüber immer offen bleiben konnte. In den 60er Jahren waren das Arbeiten von damaligen Nachwuchsfilmemachern wie István Szabó, Roman Polanski, Martin Scorsese, Agnès Varda oder Werner Herzog.
Kurzfilmtage
Seit 1963 fand das Festival in der neu erbauten Luise-Albertz-Halle statt, die die legendäre Oberbürgermeisterin und große Förderin der Kurzfilmtage, Luise Albertz, damals das „neue Festspielhaus“ Oberhausens nannte.
Das Jahrzehnt gipfelte 1968 im Skandal um Hellmuth Costards Film „Besonders wertvoll”, in dem ein sprechender Penis Kritik am 1967 neu aufgelegten Filmförderungsgesetz übte.
Die Festivalleitung nahm aufgrund eines Einspruchs der Staatsanwaltschaft den Film aus dem offiziellen Programm, woraufhin die deutschen Filmemacher geschlossen ihre Arbeiten aus dem Festival zogen und in Bochum zeigten.
Die Kurzfilmtage wurden zum „Prüfstein ihrer selbst”, wie Hilmar Hoffmann in seinem Festivalbericht schrieb, und gingen mit geändertem Reglement aus der Krise hervor.
Frauenbewegung in der Filmemacherszene
1970 übernahm Will Wehling die Leitung des Festivals. Der „Megatrend” der 70er Jahre, eine zunehmende Politisierung der Kunst, schlug sich auch im Kurzfilm nieder. Ein weiteres großes Thema war die Frauenbewegung – junge Filmemacherinnen wie Chantal Akerman oder Helma Sanders-Brahms zeigten ihre ersten Filme in Oberhausen.
Nach Wehlings Tod wurde 1975 Wolfgang Ruf Festivalleiter. In seine Amtszeit fällt die Einführung des Kinderkinos 1978. Das Besondere an diesem Programmteil: Von Anfang an und bis heute wurde der Wettbewerb hier von Jurys aus Oberhausener Kindern beurteilt. Die 70er Jahre sahen außerdem eine Welle von Festivalneugründungen: Aus den Kinos verdrängt, fand der Kurzfilm neue Abspielformen im Festivalbereich.
Seit den späten 80er Jahren war die Entwicklung der Kurzfilmtage weniger politisch geprägt als durch die stufenweise Integration von Videoarbeiten und Neuen Medien. Entscheidenden Anteil daran hatten Karola Gramann, die 1985 die Festivalleitung übernahm, und Angela Haardt, die die Kurzfilmtage von 1990 bis 1996 leitete.
Festival zog 1997 in die Lichtburg
Mit dem Wegfall des Ost/West-Konflikts, der die ersten Jahrzehnte des Festivals geprägt hatte, war Oberhausens Rolle als „Fenster zum Osten” endgültig verblasst. In den Vordergrund rückte nun das Profil des Festivals als Sucher des Neuen, Unbekannten, als Mittler und Wegbereiter zwischen Kurzfilm und Werbung, Musikvideo, Industriefilm und Kunst – oft sehr verkürzt unter dem Sammelbegriff „Avantgarde” zusammengefasst.
1997 wurde Lars Henrik Gass Leiter der Kurzfilmtage. Unter seiner Leitung zog das Festival 1998 zurück ins Kino: in die Lichtburg in der Innenstadt. Heute konkurrieren in fünf Wettbewerben aktuelle Produktionen aus der ganzen Welt um die Preise. Große, kuratierte Sonderprogramme zu Themen wie „Kino der Tiere“ (2011) oder zum 50. Jahrestag des Oberhausener Manifests (2012) reflektieren die veränderte politische Haltung des Festivals ebenso wie die Vielfalt der kurzen Form, mit der ein Thema so facettenreiche und pointiert behandelt werden kann, wie es längere Filme nicht gestatten.
Während sich morgens Schüler vor der Lichtburg drängeln, sichtet das Fachpublikum systematisch Filme in der Video Library oder in den Markt Screenings. Vor allem an den Festivalwochenenden ist die Lichtburg zum größten Teil ausverkauft, in Diskussionsveranstaltungen setzen die Kurzfilmtage ihre Tradition als Festival fort, an dem auch über Filme geredet wird. Nicht nur mit dem Festival, sondern auch mit ihrem einzigartigen Archiv und Verleihprogrammen wie „Oberhausen on Tour“ tragen die Kurzfilmtage seit 58 Jahren den Namen Oberhausen in die ganze Welt.