Oberhausen. .
Die 58. Ausgabe der Internationalen Kurzfilmtage rückt näher. Vom 26. April bis zum 1. Mai wird unsere Stadt wieder Treffpunkt für Cineasten aus aller Welt. Mit Filmraritäten würdigt das Festival das Oberhausener Manifest, weil es in diesem Jahr seinen 50. Jahrestag begeht.
Ein unglaubliches Arbeitspensum wartet nun auf die Jury-Mitglieder, die darüber entscheiden, welche Filme in den Wettbewerben gezeigt werden. „Im vergangenen Jahr hatten wir 6000 Einsendungen“, sagt Festivalleiter Lars Henrik Gass. Noch hatte er Zeit für ein Gespräch.
6000 Filme - liest man da nicht quer?
Lars Henrik Gass: Wir teilen uns die Arbeit auf. Trotzdem kann man nicht alles zu Ende gucken, man bricht Arbeiten ab oder spult sie vor, um vielleicht noch einmal hineinzuschauen. Schwierig wird’s, wenn ein Film gut ist, aber nicht gut genug. Auch ist es etwas anderes, wenn eine Arbeit, die jemand vorschlägt, gemeinsam angesehen wird. Man schaut mit anderen anders.
Die meisten jungen Regisseure sind ja schon stolz, wenn ihr Film überhaupt gezeigt wird. So erzählte es auch Kornél Mundruczó, der ungarische Regisseur, der 2001 den Arte-Preis gewann und jetzt „Schöne Tage“ fürs Theater inszenierte.
Ja, Kornél Mundruczó kam damals groß raus, hat 5000 DM gewonnen. Das war im letzten Jahr vor dem Euro. Er hat noch einige andere sehr erfolgreiche Spielfilme gemacht. Es freut uns natürlich, dass wir so etwas anstoßen konnten.
Zum Manifest: Müsste es nicht Münchener Manifest heißen?
Gass: Ja, genauer: Schwabinger Manifest, denn dort fanden die Treffen statt, deren Ergebnis die Erklärung war. Damals gab es in Deutschland nur drei Filmfestivals, in Berlin, Mannheim und Oberhausen. Heute sind es über 100. Berlin war jedoch ein staatstragendes Festival. Dort traf sich die alte Garde des Films, so dass sich die jungen Leute (die Unterzeichner des Manifests) dort nicht repräsentiert fühlten.
Wird das Manifest zum ersten Mal bei den Kurzfilmtagen gewürdigt?
Gass: Es wurde schon einmal was gemacht zum 30. Jahrestag, aber nicht als Programm. Der Festivalgründer Hilmar Hoffmann und Christoph Schlingensief waren da aktiv.
Wie war das Kino 1962 und stimmt es, dass Alexander Kluge zu Unrecht stets als erster genannt wird, wenn es um das Manifest geht?
Gass: Es gab durchaus auch gute Filme wie „Rosen für den Staatsanwalt“ von Wolfgang Staudte. Es gibt einige Namen, die für eine andere Art von Kino stehen,. Kluge steht mit für den Erfolg nach dem Manifest, er hat filmpolitisch viel auf den Weg gebracht.
Das Manifest ist doch auch eine tolle Werbung für Oberhausen?
Gass: Ja, definitiv. Das gibt’s nur einmal. Es gab auch in Oberhausen weitere Erklärungen, 1966 und 1968. Aber die hatten nicht so eine Wirkung wie das Manifest. Es war eben die erste Erklärung, sie schaffte den Durchbruch. Kluges Film „Abschied vom gestern“ hat danach den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen. Das Manifest hat den Weg bereitet für Regisseure wie Fassbinder, Schlöndorff, Herzog.
Interessierten die Filmtage 1962 die Oberhausener mehr als die Kurzfilmtage heute?
Gass: Das glaube ich nicht, obwohl das Fernsehen damals nur ein Programm hatte. Überhaupt ist das Interesse am Kino nach 1962 gekippt.
Wenn sie die Kurzfilme kostenlos ansehen könnten, kämen dann mehr Leute?
Gass: Wir haben den Eintritt immer moderat gehalten. Ein Preis muss sein, allein schon wegen der Wertigkeit.
Wenn wenig Oberhausener Interesse zeigen, könnte die Kurzfilmvilla doch auch in München stehen?
Gass: Das glaube ich nicht. Das Festival ist aus dem Bildungsgedanken heraus entstanden. Hilmar Hoffmann war Leiter der Volkshochschule. Er wollte ein Festival fürs Volk, Kulturfilmtage. Es hat hier eben völlig anders angefangen als anderswo. Mit Hilfe von Filmen wollte man die Leute bilden. Es hat deswegen auch viele Anfeindungen gegeben. Die Regierung in Bonn hat es alles andere als gern gesehen, dass Hoffmann das Embargo umging und die DDR als DDR existieren ließ.
Und doch gehen nicht viele Oberhausener hin.
Gass: Kultur ist immer nur für wenige da, für die, die sich interessieren. Ich könnte sagen, das Glas sei halb leer, sage aber: Es ist halb voll. Wir sind mit den Besucherzahlen zufrieden, sie nehmen nicht ab, sondern zu. Es geht immer nur um die, die etwas anderes erleben wollen. Die Funktion des Festivals liegt nicht nur darin, für Oberhausen da zu sein. Wir wollen etwas auslösen, Wirkungen erzeugen.
Wir sind international unterwegs. Aber hier gab’s Hilmar Hoffmann und Louise Albertz. Was damals war, kann heute niemand nachholen. Wer etwas Neues schaffen will, muss ein Profil, Glaubwürdigkeit aufbauen. Dass dieses Festival internationales Renommee hat, liegt daran, dass es etwas hat - eben nicht als Teil der Hochkultur -, was den Nerv trifft. Und das passierte 1954.
Sollten nicht zwischen den Festivals mehr Kurzfilme gezeigt werden?
Gass: Wir haben es versucht im leeren Ladenlokal. Absichtlich hatten wir einen kleinen Raum gewählt, in dem sich wenige wohl fühlen. Da kamen 15 Leute. Als wir die Veranstaltung ins Kino verlagern wollten, kam keiner mehr.
Zum Themenprogramm: Sind nur Filme der Manifest-Unterzeichner zu sehen?
Gass: Wir haben uns international umgesehen. Haben geschaut: Was gab’s in Japan, Schweden, den USA und in Frankreich? Viele Gäste kommen, es wird Podiumsdiskussionen zum Thema geben und es erscheint ein Buch zum Festival.
Wie lange dauerte die Vorbereitung?
Gass: Den ersten Brief an die Unterzeichnung des Manifests verschickten wir im September 2009. Richtig los ging’s im Hebst 2010, da hatte die Bundeskulturstiftung uns ihre Unterstützung zugesagt. Sonst hätten wir es nicht machen können. Kopien mussten hergestellt, Filme restauriert werden. Im Gegensatz zur klassischen deutschen Filmgeschichte handelt es sich um eine vergessene Periode der Jahre 1962 bis 1966.