Oberhausen. In der Sommerschule der RAA bekommen kleine Migranten Sprachförderung - und Selbstbewusstsein.
Wie ist das eigentlich, wenn man von den Eltern einfach in ein anderes Land mitgenommen wird? Wenn man sein Zimmer verlassen muss, seine Straße, sein Viertel, seine Stadt? Und auch Oma, Opa und die besten Freunde? 60 Mädchen und Jungen, die in den vergangenen drei Wochen die Sommerschule der Regionalen Arbeitsstelle zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien (RAA) besucht haben, kennen das Gefühl aus eigener Erfahrung. Deshalb hat der der Extra-Deutschunterricht den kleinen Migranten nicht nur sprachliche Sicherheit gegeben, sondern auch eine gehörige Portion Selbstvertrauen.
Fahrschein mit drei Stempeln
Tamerlan ist zwölf Jahre alt und kommt aus Tschetschenien. Eigentlich ist er alt genug, um zu wissen, wie man mit dem Bus fährt – aber nicht in Deutschland. Hier ist noch alles so neu. Und so fremd. Deshalb hat Tamerlan am ersten Tag der Sommerschule seinen Fahrschein nicht abgestempelt, er wusste nicht, dass man so etwas tun muss. Bis die Kontrolleure kamen. Am zweiten Tag hat er dann vor lauter Angst gleich drei Stempel draufgemacht, sicher ist sicher.
Während Nanne Driescher lachend die Geschichte erzählt, schaut der Junge schüchtern zu Boden. Doch er wird nicht ausgelacht, es ist ein aufmunterndes, ermutigendes Lachen, mit dem die pensionierte Grundschullehrerin den Kindern ein Gefühl der Sicherheit gibt. Bei der Sommerschule, in den Räumen des Renate-Weckwerth-Hauses an der Mülheimer Straße, sind alle in einem geschützten Raum. Erst- bis Zehntklässler aus zehn Nationen. Jeder darf Fehler machen und jeder darf so sein, wie er ist.
„Wir müssen die Kinder stark machen“, sagt Nanne Driescher. „Die brauchen das sehr. Alles ist fremd für sie, manche sind traumatisiert durch den Krieg.“ Den „Kulturschock“ der Kinder sucht die 70-Jährige auszugleichen mit Sprachkenntnissen. Ihre Theorie: „Ein Minimalwortschatz ist wie ein Strohhalm. Um wachsen zu können, muss man erstmal ein bisschen Boden unter den Füßen haben.“ Mehrere Jahre hat Driescher Kinder mit ähnlichen Geschichten unterrichtet, in den Internationalen Vorbereitungsklassen an der Tackenbergschule. Auch viele Sommerschul-Schüler besuchen solche Lerngruppen, in denen sie bis zu zwei Jahre intensiv gefördert werden, bevor sie in Regelklassen wechseln können.
Spielerisches Lernen
Im Raum nebenan macht Swetlana Gort ähnliche Erfahrungen wie ihre Kollegin: „Am Anfang waren die Kinder sehr zu, jetzt erzählen sie schon mal was.“ Dabei hilft bestimmt, dass hier ganz spielerisch an die Sache herangegangen wird. Auf Grammatik-Arbeitsblätter folgen Geschichtenerzählen, Malen, Basteln, Spielen. „Schließlich sind ja Sommerferien“, sagt Gort und lacht. Sie ist sichtlich stolz auf die Kinder, die aus verschiedenen Gründen in Oberhausen gelandet sind.
Manche sind mit der Familie aus einem Kriegsgebiet geflohen, andere im Rahmen der europäischen Freizügigkeit gekommen. Sie sind Flüchtlinge, Asylbewerber oder EU-Ausländer, sind geduldet oder haben eine Aufenthaltsgenehmigung. Einige wohnen in Notunterkünften, andere in ganz normalen Wohnungen. Was sie gemeinsam haben: Sie sind neu in der Stadt und kennen Land und Sprache nur sehr wenig. Etwas, das auch Swetlana Gort kennt, die in Kasachstan geboren wurde und in Russland als Grundschullehrerin arbeitete. „Ich verstehe diese Kinder sehr gut“, sagt die 50-Jährige, „ich habe vor 14 Jahren das Gleiche durchgemacht“.
Anastasia Gort ist auf den Spuren ihrer Mutter. Die angehende Refrendarin unterrichtet die älteren Sommerschul-Schüler, viele können schon ein bisschen Konversation machen – und von ihrem neuen Leben erzählen. Wie Ehsan (14), der vor acht Monaten aus dem Iran kam. „Am Anfang war es schwer“, sagt er. Doch er ist am Gymnasium und hat große Pläne: „Ich möchte Pilot werden.“ Davud (16) hat sich schon eingelebt. Er möchte nicht zurück nach Aserbaidschan. „Dort gibt es keine Gerechtigkeit“, sagt er. Daniel dagegen kam erst vor vier Monaten. „Ich denke jeden Tag an Eritrea“, sagt er, noch auf Englisch.