Oberhausen.
Gerhard Holtz, der 63-jährige Leiter des Diakonischen Werkes Oberhausen, hat in seiner seit 1984 währenden Amtszeit so manche Schlacht geschlagen, um den Sozialstaat gegen neoliberale Widersacher zu verteidigen. Auch wenn die scharfen Angriffe der Wirtschaft und Politik gegen allzu soziale Betonungen der sozialen Marktwirtschaft im Vergleich zu den turbulenten Zeiten von 1995 bis 2005 derzeit kaum noch geführt werden, befürchtet der gelernte Sozialpädagoge schlimme Debatten für die Zukunft: „Die hohen Zahlungen an Griechenland werden noch auf uns Auswirkungen haben. Irgendwann muss in unseren Haushalten gespart werden und dann heißt es wieder: Der deutsche Sozialstaat ist viel zu teuer.“
Und deshalb hat sich die Diakonie-Leitung zum 90. Geburtstag des Diakonischen Werkes in Oberhausen kein Sommerfest mit Spaß und Trubel, sondern etwas Nachdenkliches verordnet: Bernd Schlüter, Professor für Verfassungs- und Sozialrecht an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin, redet bei der Jubiläumsfeier in der Lutherkirche an der Lipperheidstraße am Freitag, 8. Juli, zum Thema: „Wie sozial ist unsere Marktwirtschaft?“ Sein Augenmerk wird auch auf die drohenden Einschränkungen sozialer Tätigkeiten durch die EU in Brüssel liegen.
Von der Mütterschule zum Familienbildungswerk
Bewusst unterbrochen wird er beim Festvortrag vor 140 geladenen Gästen von Kurz-Interviews mit Oberbürgermeister Klaus Wehling und Kreishandwerksmeister Jörg Bischoff sowie Aussagen hilfebedürftiger Oberhausener.
Die Vorläufer des Diakonischen Werkes Oberhausen wurden 1921 mit der Fürsorgearbeit für junge Frauen gegründet, die nach dem ersten Weltkrieg als Arbeitskräfte aus den Dörfern in die Großstadt Oberhausen mit all ihren Gefahren geholt wurden. Aus dem damaligen Jugendpfarramt entwickelte sich die Diakonie, aus der Mütterschule das Familienbildungswerk.
Von damals zwei Fachkräften über acht Sozialarbeiter vor 27 Jahren bis heute 35 hauptamtlichen Beschäftigten wuchs die Diakonie mit den sozialen Aufgaben kräftig. Historisch bedingt kümmert sich das Diakonische Werk in dieser Stadt ausschließlich um den ambulanten sozialen Bereich: Alten-, Behinderten- oder Obdachlosenheime gehören also nicht dazu.
Jahresetat von 3,5 Millionen Euro
Mit einem Jahresetat von 3,5 Millionen Euro, davon 350.000 Euro aus Kirchensteuergeldern, versorgt die Diakonie hier jährlich 200 Wohnungslose und von Wohnungslosigkeit bedrohte Menschen, 270 meist ältere verwirrte Menschen werden von ihr gesetzlich betreut, 150 psychisch angegriffene Menschen werden von den Diakonie-Mitarbeitern in der Kontakt- und Beratungsstelle Sterkrade so weit im Alltag begleitet, dass diese nicht in eine Klinik müssen.
Mit der Jugend- und Familienhilfe sorgt die Diakonie als einer von mehreren Anbietern in der Stadt außerdem dafür, dass Kinder durch eine ein bis zwei Jahre dauernde Erziehungsbegleitung für deren Eltern nicht aus den Problemfamilien in noch teurere Heime oder zu Pflegemüttern kommen müssen.
Diakonie betreibt Schuldnerberatung
Zur Diakonie-Arbeit zählen auch über 700 Beratungen für Menschen, die finanziell am Ende sind - die Schuldnerberatung in dieser Stadt wird auch von der Diakonie betrieben. Hier kommt es mangels ausreichender Geldbeträge vom Staat für weitere Fachkräfte zu Wartezeiten von sechs und mehr Monaten, ehe die betroffene Familie einen Beratungstermin beim Finanzexperten der Diakonie erhält.
Zum 90. Geburtstag hat Holtz natürlich einen Wunsch an die armen Stadt-Verantwortlichen in Oberhausen parat: „Hoffentlich bleibt die Politik hier bei ihrer Linie, die Stadt und die nötige Sozialarbeit hier nicht kaputt zu sparen.“