Oberhausen. Zur NS-Zeit wird Oberhausen ein Schauplatz für Filmpropaganda. In den 1950ern boomen die Kinos – bis das „Pantoffelkino“ heranschlurft.

Die Zahlen klingen imposant: In den 1930er Jahren verfügte das gerade aus drei Städten zusammengefügte „Groß-Oberhausen“ über insgesamt neun Kinos mit zusammen fast 6000 Plätzen. Doch als Kunsthistoriker kennt Dr. Holger Klein-Wiele auch die – noch weit größere – Filmbegeisterung in den Nachbarstädten: So besaß Essen zur selben Zeit 45 Kinos und selbst Gelsenkirchen (mit Buer ähnlich groß wie Oberhausen) kam auf 23 Filmpaläste.

Als Schauplatz filmischer Propaganda allerdings war Oberhausen während der NS-Zeit für einen Moment „Avantgarde“: Denn in den Werkshallen der Gutehoffnungshütte entstanden zentrale Szenen des im März 1937 uraufgeführten Spielfilms „Der Herrscher“ - sehr frei nach einem damals aktuellen Drama des Literatur-Nobelpreisträgers Gerhart Hauptmann (1862 bis 1946). „Staatsschauspieler“ Emil Jannings verkörperte den Titelhelden, einen Großindustriellen, der sein Stahlwerk schließlich – nach Kämpfen mit den eigenen Söhnen – an die NS-„Volksgemeinschaft“ weitergibt. Oberhausens eigenem montanindustriellen „Herrscher“, dem langjährigen GHH-Konzernchef Paul Reusch, sah Jannings als Patriarch sogar verblüffend ähnlich.

Liebes- und Operettenfilme statt NS-Propaganda: Auf dieser Zeitungsseite von 1937 reihen sich Kino-Inserate für „Liebe geht seltsame Wege“, „Der Herrscher“ und „Hofkonzert“.
Liebes- und Operettenfilme statt NS-Propaganda: Auf dieser Zeitungsseite von 1937 reihen sich Kino-Inserate für „Liebe geht seltsame Wege“, „Der Herrscher“ und „Hofkonzert“. © Stadtarchiv Oberhausen | Stadtarchiv Oberhausen

„Das Ruhrgebiet spielt mit“, titelte damals der – längst vom Propaganda-Ministerium gleichgeschaltete – Oberhausener Generalanzeiger. Und zitiert Veit Harlan: „Das Werk wurde nicht nachgestaltet und nicht im Atelier aufgebaut. Wir haben die Wirklichkeit zum Mitspieler gewonnen.“ Tatsächlich gibt dieser hohe Aufwand von 20 Drehtagen inmitten des Stahlwerks dem „Herrscher“ bis heute einen gewissen dokumentarischen Wert. Der Berliner Veit Harlan (1899 bis 1964) drehte dann während der Weltkriegsjahre mit „Jud Süß“ den wohl widerwärtigsten und mit „Kolberg“ den zugleich teuersten und letzten Propagandafilm der NS-Tyrannei.

Das Werk wurde nicht nachgestaltet und nicht im Atelier aufgebaut.
Veit Harlan (1899 bis 1964) - über die Dreharbeiten zu „Der Herrscher“ in der Gutehoffnungshütte

Im Kinoalltag der NS-Zeit – die teils aufwendig illustrierten Inserate in den Tageszeitungen belegen es – zählte allerdings nicht Propaganda, sondern leichte Unterhaltung, gerne untermalt mit beschwingten Schlagern. „Unterirdisch“ in ganz anderem Sinne präsentierte sich eine Kino-Attraktion, die man gerne hochrangigen Besuchern der jungen Stadt vorstellte: nämlich Deutschlands tiefstes Kino, 609 Meter unter der Erde, mit seinen 100 Plätzen. Es war Teil der als Schaubergwerk seit 1937 wieder erschlossenen Zeche Oberhausen, deren Kohleförderung bereits sechs Jahre zuvor, inmitten der Weltwirtschaftskrise, eingestellt worden war.

Im Nachkriegs-Look: Mit dem Osterfelder „Atrium“ begann in den 1930ern die erstaunliche Kino-Karriere der Eheleute Franz und Gerda Röder. Schon der Vorgängerbau zeigte den modern-schwungvollen Schriftzug für ihr 750-Plätze-Haus.
Im Nachkriegs-Look: Mit dem Osterfelder „Atrium“ begann in den 1930ern die erstaunliche Kino-Karriere der Eheleute Franz und Gerda Röder. Schon der Vorgängerbau zeigte den modern-schwungvollen Schriftzug für ihr 750-Plätze-Haus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Auch oberirdischer Kino-Komfort war mit den Jahren des Luftkrieges bald passé. „Die meisten Kinos waren vollständig oder teilweise zerstört worden“, schreibt Holger Klein-Wiele. Sowjetische Kriegsgefangene hatten noch im Dezember 1943 mit Baumaterial aus der Steinfabrik der Zeche Osterfeld das Foyer der schwer getroffenen Lichtburg zu einem „Notkino“ mit 300 Plätzen herrichten müssen. Die Kunst der Zerstreuung schien dem NS-Regime unverzichtbar für die „Kriegsmoral“ an der Heimatfront.

Oberhausen: Militärregierung beschlagnahmt das einzige intakte Kino

Es waren zu einem Gutteil dieselben Operetten-Filme, mit denen sich nach 1945 die Kinoszene wieder aufraffen und schon bald in üppiger Blüte stehen sollte. Allerdings hatte die britische Militärregierung das einzige intakte Lichtspielhaus - das über 800 Plätze aufbietende „Apollo“ an der Marktstraße – zunächst für die eigenen Truppen beschlagnahmt. So wurde das Oberhausener „Ur“-Kino namens „Istra“ (das schon 1907 als „Biotophon“ eröffnet hatte), auch zum ersten Kino, das 1945 wieder für die nicht nur hungernde, sondern auch Kultur-hungrige Bevölkerung öffnete.

Oberhausens 1955 erbautes „Vorzeige-Kino“ mit den höchsten Billett-Preisen: der „Europapalast“ war auch Spielstätte der frühen Kurzfilmtage.
Oberhausens 1955 erbautes „Vorzeige-Kino“ mit den höchsten Billett-Preisen: der „Europapalast“ war auch Spielstätte der frühen Kurzfilmtage. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Die großen Häuser der 1930er Jahre, „Lito“ in Sterkrade und „Lichtburg“ an der Elsässer Straße, erstanden als Neubauten aus den Trümmern. Hinzu kam eine eindrucksvolle Phalanx der ebenso prächtig auftrumpfenden Konkurrenz: Das „Jacobi-Filmtheater“ an der Teutoburger Straße in Osterfeld war mit 800 Plätzen ebenfalls großstädtisch – reichte aber nicht heran an den 1955 eröffneten „Europapalast“ im neuen Europahaus, erbaut von Hans Schwippert, dem prägenden Architekten der kleinen Bundeshauptstadt Bonn. Als brandneues „Vorzeige-Kino“ nahm es die höchsten Eintrittspreise in Oberhausen: Selbst das günstigste Billett kostete 1,20 DM.

Von Nord nach Süd: Kastell-Lichtspiele und Hibernia-Theater

Selbst ein eigenständiges „Kino-Imperium“ hatte in Oberhausen seinen Mittelpunkt: Nämlich die klangvoll-exotisch zu „Bali“ verkürzten „Bahnhofs-Lichtspiele“ der Eheleute Franz und Gerda Röder, deren unternehmerischer Grundstein in den 1930ern das „Atrium“ an der Bottroper Straße war. Mit dem „Non Stop“-Slogan für die auf ihren Anschluss wartenden Zugreisenden waren die „Bali“-Begründer zugleich Vorreiter flotter Anglizismen.

Die größten Lichtspielhäuser, wie der „Europapalast“, hatten vor der Leinwand ausladende Bühnen - groß genug für Shows, deren Programme Bruno Zbick als Zeugnisse des Oberhausener Kulturlebens sammelt. Hier Zauberkünstler Edwin Kramer alias „Eston“ mit seiner Partnerin.
Die größten Lichtspielhäuser, wie der „Europapalast“, hatten vor der Leinwand ausladende Bühnen - groß genug für Shows, deren Programme Bruno Zbick als Zeugnisse des Oberhausener Kulturlebens sammelt. Hier Zauberkünstler Edwin Kramer alias „Eston“ mit seiner Partnerin. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Teilweise sehr kurz, aber nicht weniger erstaunlich war der Boom von „Papas Kino“, wie die neuen Kurzfilmtage später spotteten, in den Stadtteilen: Kleinere Filmpaläste gab‘s von Holten (natürlich als „Kastell-Lichtspiele“) bis zu den Alstadener Heiderhöfen (mit dem „Hibernia-Theater“), beide um die 400 Plätze groß. Aus forschenden Blicken ins Stadtarchiv und in die dort bewahrten Bauakten kennt Dieter Baum, Sammler historischer Ansichtskarten, einen Grund für die oft kurze Lebensdauer der „Kleinen“: die Brandschutz-Vorschriften.

Explosiv: Zelluloid verbrannte manche Kino-Träume

Filmstreifen aus Zelluloid sind brandgefährlich. Bereits wenn ein Film vor der heißen Projektionslampe stehen bleibt, kann dies sich rasant ausbreitende Brände auslösen – nicht nur in Spielfilmen wie „Cinema Paradiso“. Die entsprechend hohen Auflagen der Behörden, bis hin zur Ausstattung mit sicheren Fluchtwegen für hohe Zuschauerzahlen, konnte mancher Kino-Neuling nicht erfüllen und musste aufgeben.

Varieté und Filmkunst in trauter Eintracht: Dieses Programmblatt mit Widmung erinnert an den Auftritt der  „1  1/2 Robbys“ im Europapalast.
Varieté und Filmkunst in trauter Eintracht: Dieses Programmblatt mit Widmung erinnert an den Auftritt der „1 1/2 Robbys“ im Europapalast. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Und schließlich sorgte das sprichwörtliche „Pantoffelkino“ für die umfassende Trendwende: Wer sich zuvor als Stammgast mit Dauerkarte an „seinem“ Wochentag vor die schimmernde Leinwand gesetzt hatte, ganz egal welcher Spielfilm angekündigt wurde, blieb spätestens in den 1960ern daheim vorm Fernseher: Die „Tagesschau“, die sich 1955 von den Kino-Nachrichtendiensten emanzipierte, hatte die „Wochenschauen“ geschlagen.