Oberhausen. Dank des Slogans „Papas Kino ist tot“ verbuchte das Aufbegehren junger Filmemacher langen Nachruhm. Oberhausen wurde so Teil der Filmgeschichte.
Manchmal ist der Nachruhm weit größer als das Ereignis. Ein Musterbeispiel ist jener improvisierte Termin, der vor genau 60 Jahren – am 28. Februar 1962 – noch rasch ins 16-tägige Gefüge der VIII. Westdeutschen Kurzfilmtage eingepasst wurde: Das „Oberhausener Manifest“ der 26 Unterzeichner mit einem Fuß (oder auch nur einer Zehenspitze) in der Filmbranche prägte mit „Papas Kino ist tot“ einen überaus langlebigen Slogan. Mehr noch: Der Satz brachte das Selbstverständnis der kommenden Autorenfilmer auf den Punkt.
Doch weder zählten die späteren Regie-Stars von Wim Wenders bis Rainer Werner Fassbinder (damals noch Oberschüler in Sterkrade der eine, Schulabbrecher der andere), die in den 1970ern dem deutschen Film wieder zu Weltgeltung verhelfen sollten, zu den Autoren des Manifests. Noch standen die süffisanten Worte von „Papas Kino“ in dem kurzen Text. In dessen Gefolge wurden zwar ganze Bücher produziert, doch das eigentliche Manifest umfasst gerade mal eine Buchseite – die locker gesetzten Namen der 26 Unterzeichner bereits mitgezählt.
So erinnerte sich denn der Kurzfilmtage-Erfinder Hilmar Hoffmann im Jubiläumsbuch „Provokation der Wirklichkeit“ von 2012 an einen „eher improvisierten und provisorischen Eindruck“. Auf dem berühmten Foto der Pressekonferenz wirkt Alexander Kluge (inzwischen 90 und damit seit 60 Jahren einer der wenigen Vorzeige-Intellektuellen der Bundesrepublik) wie ein adretter, aber alerter Oberschüler.
Luise Albertz fand keinen Sitzplatz mehr
Selbst Luise Albertz, die stets engagiert Präsenz zeigte bei den Kurzfilmtagen, fand keinen Sitzplatz mehr im kleinen Saal: Die 60-jährige erste Oberbürgermeisterin einer deutschen Großstadt „hat sich stattdessen auf dem Boden niedergelassen“, wie Hilmar Hoffmann sagte – fast als wäre dies der eigentliche Paukenschlag des Manifests.
Tatsächlich waren die wenigen Sätze dreierlei: eine Beerdigung erster Klasse für den „alten Film“; eine unverblümte Geldforderung und ein noch keineswegs eingelöstes Versprechen auf die Zukunft. „Der Zusammenbruch des konventionellen deutschen Films entzieht einer von uns abgelehnten Geisteshaltung endlich den wirtschaftlichen Boden“, heißt es im Manifest. Für den Zusammenbruch sorgte neben der weit besseren US-Ware vor allem der TV-Boom in deutschen Haushalten. Dabei war das ZDF zwar im Februar 1962 beschlossene Sache – sendete aber erst 13 Monate später erstmals.
Die von den jungen Filmemachern (großteils Produzenten oder Produzenten in spe sowie vier Regisseure und ein Schauspieler) gegeißelte „Geisteshaltung“ manifestierte sich im verachteten Genre des „Heimatfilms“. Edgar Reitz hätte sich damals nicht träumen lassen, dass er eines Tages das an sein Geburtshaus im Eifelort Morbach angebaute Mini-Kino „Heimat“ nennen würde. Hilmar Hoffmann war rückblickend wieder deutlicher als die Manifest-Autoren: Sie wandten sich, in seinen Worten, gegen „die aus Hitlerdeutschland noch resistente, zählebige Naziästethik“.
Gehässige Reaktionen in den Tageszeitungen
Italien hatte den schon während der letzten Weltkriegswochen aufblühenden Neorealismo, Frankreich die jüngere „Nouvelle Vague“, deren Frische und Frechheit in Godards 1960er Geniestreich „Außer Atem“ gebündelt war. Die Bundesrepublik hatte – fast nichts. Der große Cineast Francis Courtade aus Straßburg beschreibt wunderbar pointiert, wie schwer es ihm fiel, für seine großes Werk „Le cinéma réaliste allemand“ auch nur einige bemerkenswerte Filme der Adenauerzeit aufzuspüren – darunter Bernhard Wickis Antikriegsdrama „Die Brücke“.
Der kritischen Diagnose im Manifest folgten 1962 noch viele der damals ausgiebig von den Kurzfilmtagen berichtenden Tageszeitungen. Gehässiger waren die Reaktionen auf den Ruf nach Fördergeldern: „Eine Gruppe junger deutscher Filmproduzenten, deren einige sich revolutionär nennen, weil sie die Kamera noch nicht recht zu meistern wissen“, hieß es etwa schulmeisterlich aus Mannheim, „forderte von Väterchen Staat blanke 5 Millionen Mark“. Und das Stuttgarter Feuilleton rätselte: „Eine Avantgarde mit finanziellem Polster? Eine, die sich ihr Talent im voraus honorieren lässt?“
Nur der große Filmhistoriker Enno Patalas stimmte in der Münchner „Filmkritik“ der vermeintlich dreisten Forderung zu: „Keine staatliche Akademie bietet Gelegenheit zu einer Ausbildung außerhalb der Industrie; keine Cinemathek gestattet, eine universale Filmbildung zu erwerben; kein nationales Filminstitut finanziert jungen Talenten ihre Experimente.“ Für die in Frankreich wohlvertraute Institution Cinemathek – allerdings föderal verteilt auf viele Filialen – müsste Hilmar Hoffmanns Nach-Nachfolger Lars Henrik Gass noch immer streiten.
„Wird Papas Kino wiederauferstehen?“
Das gewünschte Geld floss tatsächlich dank des Bundesinnenministers Hermann Höcherl – der allerdings den „roten“ Kurzfilmtagen jede Förderung verweigerte. In der WAZ stellte Michael Lentz in einer Würdigung für den gewandten Christsozialen und dessen „kulturpolitische Weitsicht“ seinen damals (1984) virulenten Parteifreund und Nachfolger Friedrich Zimmermann gegenüber, der „Kraft seines Amtes und seiner Paladine“ wieder öde Billigware fördere. Lentz schloss mit der wohl immer wieder mal akuten Frage: „Wird Papas Kino wiederauferstehen?“