Oberhausen. 150 schwarz-weiße Aufnahmen aus einem halben Jahrhundert wählte die langjährige FAZ-Fotografin selbst aus für die Ausstellung der Ludwiggalerie.
Ihren einzigartigen Ruf verdankt Barbara Klemm jenen historischen Merkbildern, die das Spitzenpersonal der alten Bundesrepublik so hintergründig-enthüllend ins Bild setzen, wie es kein lang ausholender Leitartikel (noch dazu mit Fraktur-Überschrift) ihrer Tagezeitung FAZ so pointiert hinbekäme. Doch zur Freude und Überraschung wohl jedes Besuchers im Schloss Oberhausen zeigt die Ludwiggalerie unter dem eher drögen Motto „Schwarz-Weiß ist Farbe genug“ auch ganz andere Aspekte aus dem reichen Schaffen der heute 83-jährigen Fotografin.
Barbara Klemm hatte sich gleich zweimal auf den Weg nach Oberhausen gemacht, denn sie übernahm auch die letzte Auswahl und Hängung der überaus facettenreichen 150 Bilder – also eines klitzekleinen Bruchteils ihres gewaltigen Oeuvres aus einem halben Jahrhundert. Landschaften und Personen fotografiert die Tochter aus einem Künstlerhaushalt noch heute gerne, 17 Jahre nach ihrer Pensionierung. Aber sie erklärt, munter und ganz ohne Koketterie, sich auch glücklich, dass ihr die Digitalfotografie erspart blieb: Da hatte der bekannte Konservatismus ihres Arbeitgebers FAZ mal seine gute Seite.
Als Fotografin aus der Wirtschaftsmetropole Frankfurt musste sie gar nicht unbedingt große Reisen antreten – die Barbara Klemm dennoch oft unternahm: Ihr kam die Welt entgegen, nicht nur zur Frankfurter Buchmesse. So ziert ein skeptisch blickender Andy Warhol in Pullover, Regenjacke und mit Rucksack die Plakate und Publikationen zu dieser fast retrospektiven Schau (wären 150 Fotografien dafür nicht arg knapp bemessen). Der Clou ist das hinter dem zarten Pop-Art-Geschäftsmann im Städel-Museum aufragende Goethe-Porträt von Tischbein.
Künstlerporträts von Peter Handke bis Neo Rauch
Allerdings toppt die Fotografin sich mit fast jedem der weiteren Künstler-Porträts in der zweiten Etage des Großen Schlosses, dem uneingeschränkten Highlight der Ausstellung: Man sieht den Maler Neo Rauch durchs Atelier springend, sieht den jungen Peter Handke grämlich guckend vor einem kitschigen Engelsgemälde, sieht die Nobelpreis-Kollegin Herta Müller in ihrer gediegenen Bibliothek an Schrift-Collagen schnipselnd. Diskret und zugleich anrührend ist das Bildnis ihres Vaters Fritz Klemm, der in seinem Atelier, eigentlich nur ein Schattenriss, aus dem hohen Fenster blickt: ein Bild wie von der Staffelei Caspar David Friedrichs.
Als Porträtistin genieße sie „den ganz anderen Rhythmus“, sagt Barbara Klemm, selbst wenn die Prominenz ihr nur eine Stunde Zeit einräumt. Der Blick in Atelier oder Arbeitszimmer erzähle „so viel“ vom Gegenüber. Bei der Wiener Poetin Friederike Mayröcker war’s der Blick in ein höhlengleiches Bücher-Gewölbe.
Mit ihrem Feinsinn, auch die essenzielle Bedeutung der Umgebung mit zu erfassen, erweist sich die Fotografin gerade im politischen Metier als Meisterin der Halbdistanz: Wenn man mit ihrem Blick sieht, wie sich ein Pulk von Dolmetschern, Ministern (und ein weiterer Fotograf) um Willy Brandt und KPdSU-Chef Leonid Breschnew beugen, sagt das noch mehr über die Bedeutung dieses Entspannungsgipfels 1973, als allein die nachdenkliche Miene des Bundeskanzlers.
Und wohl nur die langjährige FAZ-Fotografin kann aus einem Archiv schöpfen, dass den späteren Außenminister Joschka Fischer sowohl in seinem Büro, ausgerechnet unter einem Brandt-Siebdruck von Andy Warhol, als auch als jugendlichen Besetzer der Frankfurter Uni zeigt. Bilder „über das Dokumentarische hinaus“, sagt Barbara Klemm, gelingen, wenn „ich schnell aus der Bewegung heraus auch das Kompositorische erfassen kann“. Doch die so entspannt wie zugewandt erzählende Grande Dame des Fotojournalismus betont: „Die Form darf Ihnen gar nicht auffallen!“
Die ihr eigene Formvollendung macht sich für manche wohl erst dann bemerkbar, wenn die Fotografin die Bilder zu einer ganz eigenen Dramaturgie aufreiht – exemplarisch zu bewundern bei den „Menschen in Museen“: Da lässt im pompösen Louvre von Paris eine einsame junge Aufsicht gelangweilt die High Heels wippen, während das Personal im Saal der St. Petersburger Eremitage tadellos aufrecht zu sitzen hat. Und im Berliner Museum Dahlem schmeißt sich ein kleiner Junge in Socken bäuchlings auf die Lederbank – anno 1964 eigentlich ein unerhörter Vorgang.
Fotografisches „Who is who“ der alten Bundesrepublik
Fotos kann man schlecht widersprechen, erscheint die Beweiskraft mancher Bilder doch nachdrücklicher als der flammendste Essay. So brachte Barbara Klemm in der wildbewegten ‘68er Ära selbst Aufnahmen von prügelnden Polizisten auf die Seiten der FAZ – und ärgerte sich über so manche Bildzeile der Textredakteure: „Dafür war ich nicht zuständig.“
Vielleicht sind deshalb die Bildtexte in der Ludwiggalerie so betont knapp und sachlich gehalten. Wer noch einige markante Köpfe der alten Bundesrepublik in seinem inneren „Who is who“ einzuordnen weiß, hat dann noch mehr Freude an „Schwarz-Weiß ist Farbe genug“: Aber welch widerlicher Heuchler etwa ein Hans Karl Filbinger war, macht Klemms schon fast kunstloses Porträt des verschwiemelt Grinsenden hinreichend deutlich.
Barbara Klemm fand immer den richtigen Moment für ihren Auslöser. Aber mancher Fototermin, gibt sie heute lächelnd zu, fühlte sich damals für sie an „wie eine Stunde Kohlenschippen“.
Presse-Talk im ausführlichen Programm zur Ausstellung
Geöffnet ist die Ausstellung „Schwarz-Weiß ist Farbe genug“ vom 22. Januar bis 7. Mai. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro. Einen Katalog gibt’s leider nicht, stattdessen ein 16-seitiges Booklet mit einem Text von Christine Vogt, der Direktorin der Ludwiggalerie, für 5 Euro.
Zum ausführlichen Begleitprogramm zählt am Sonntag, 16. April, um 16 Uhr auch ein Presse-Talk: Peter Szymaniak, Redaktionsleiter der WAZ Oberhausen, spricht dann über journalistische Arbeit und diskutiert über die großen Veränderungen, Herausforderungen und Chancen des heutigen Journalismus.