Solingen. . Neue Schau des Zentrums für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen: Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller präsentiert Wort-Bild-Collagen.

Herta Müller benutzt für ihre Wort-Bild-Collagen geschliffen scharfe Scheren aus Solingen, aber das ist nicht der Grund, warum die Literaturnobelpreisträgerin am Sonntag, 10. März, im Solinger Kunstmuseum ihre Ausstellung mit 227 postkartengroßen Collagen­gedichten mit einer Lesung eröffnet. Herta Müller hat 1994 als Erstunterzeichnerin eines Aufrufs mit dafür gesorgt, dass in dem Solinger Museum 2015 das „Zentrum für verfolgte Künste“ rund um die Sammlung des Exilautoren-Wiederentdeckers Jürgen Serke eröffnet werden konnte.

Herta Müllers Wort-Bild-Collagen, die auf blütenweißen Din-A-6-Karteikarten entstehen, sind längst ein eigener Strang in ihrem Schaffen, der Kunst und Literatur auf ganz eigene Weise miteinander verflechtet. Angefangen hat sie damit kurz nach ihrer Emigration aus dem heimischen Rumänien 1987 – damals musste sie sich bei vielen Freunden melden, „aber die Ansichtskarten hatten so grässlich missratene Farben“, erinnert sie sich. Also nahm sie die Postkartenproduktion selbst auf, mit Schere und Klebestift und äußerst stimmigen Farbkombinationen, meist in Pastelltönen zwischen Grün, Blau und Braun.

Schubladen voller Schnipsel

Am kommenden Montag erscheint mit „Im Heimweh ist ein blauer Saal“ ihr mittlerweile fünfter Collagen-Band, und im Solinger Museum kann man nun auch erahnen, dass das Schneiden und Kleben der Collagen ein völlig anderer Vorgang ist als das Schreiben: In einer gläsernen Vitrine liegen hunderte Schnipsel kreuz und quer übereinander – hier gibt es keine Angst vorm leeren Blatt, hier gibt es Wörter im Überfluss, die Gedichte entstehen fast eher durch weglassen oder dadurch, dass sich Herta Müller von Wörtern regelrecht angesprungen fühlt.

Inzwischen hat sie auch einen ganzen Schrank mit alphabetisch sortierten, einzeln ausgeschnittenen Wörtern angelegt, um im Zweifelsfall nicht mehr lange suchen zu müssen oder sich Wörter durch den Austausch von Buchstaben selbst zusammenzuschneiden und zu -kleben. Die Originale wechseln im Kunsthandel übrigens mittlerweile für fünfstellige Summen den Besitzer, es gibt allerdings auch eine Auflagen-Edition bei Lumas.

Karten sind in Gruppen sortiert

In Solingen sind die Karten in Gruppen wie „Vater telefoniert mit den Fliegen“ oder „Die blassen Herren mit den Mokkatassen“ sortiert; abgesondert ist auch die Serie, die für Liu Xia entstand, die Witwe des Friedensnobelpreisträgers Liu Xiaobo – zugleich die politischsten ihrer Collagen: „Die Geschichte vom / seidenen Faden in 4 / Worten: der Präsident / lässt morden.“

Andere Collagen führen in Assoziationsräume zwischen Herta Müllers Biografie und absurd-dadaistischen Anspielungshorizonten, aber stets mit gestochen klaren Bildern, mit Wörtern und Satzfetzen, die für sich schon halbe Geschichten erzählen vom Fremdsein in der Welt. Und von dem Wissen darum, dass Heimat, der Ort, an dem es keinen Verrat gibt, nur in der Sprache zu finden ist.

Zur Ausstellung

Die Ausstellung des Zentrums für verfolgte Künste im Kunstmuseum Solingen läuft bis zum 9. Juni (di-so 10-17 Uhr, Eintritt: 9 €, erm. 4,50 €, bis 18 J. frei). Eröffnet wird sie am 10. März um 10.30 Uhr mit einer Lesung von Herta Müller und einer Rede von Norbert Lammert.