oberhausen. . Für die Kurzfilmtage gab der Regisseur, verehrt als „Maler der russischen Filmkunst“, eine Meisterklasse. Dann ging’s zur Biennale di Venezia.

Schon diese Ansage klingt filmreif: Gleich nach dem Gespräch mit seinem Publikum in der Lichtburg wird Alexander Sokurov in eine wartende Limousine steigen – und im Wagen nach Venedig fahren. Denn am kommenden Samstag, 11. Mai, eröffnet die 59. Biennale di Venezia – und der 68-jährige Meisterregisseur ist dort verantwortlich für den russischen Pavillon. Einen Goldenen Löwen hatte der Offizierssohn aus Irkutsk in Venedig bereits 2011 in Empfang genommen – für seine filmische Version von Goethes „Faust“.

Mit einem Kompliment an Deutschland als eine Nation, „die sich besonders für die Filmkunst interessiert“, hatte Alexander Sokurov diesen Samstag-Nachmittag der Kurzfilmtage eröffnet, die in einer Retrospektive die frühen Kurzfilme dieses Regisseurs epischer Werke zeigen. Mit seiner „Sonate für Hitler“ sah man dann einen eindrücklichen Kommentar zum schlimmsten deutsch-russischen Verhängnis, gebündelt in die denkbar knappe Zeit von neun Minuten. Virtuos-klassische Flötentöne unterlegte der Filmstudent Sokurov den Wochenschau-Bildern vom Redner Hitler und von euphorisierten Massen. Im Abspann folgt die Jahresangabe 1989 – für einen 15 Jahre älteren Filmcoup.

„Film ist eine sehr junge und arrogante Kunst“

„Ich hatte vorher keine Möglichkeit, diese Arbeit öffentlich zu zeigen“. Alexander Sokurov verwies auf das große Dokumentar-Werk seines älteren Kollegen Mikhail Romm (1901 bis 1871), „Der ganz gewöhnliche Faschismus“, entstanden während der Tauwetter-Phase unter Chruschtschow. „Ich war sehr jung und wollte in neun Minuten erzählen, was Romm in einem langen Film gezeigt hat“ – nämlich „wie das Volk mit einem Tyrannen verbunden ist“.

Der studierte Historiker als „Maler mit der Kamera“: Alexander Sokurov.
Der studierte Historiker als „Maler mit der Kamera“: Alexander Sokurov.

Alexander Sokurov hatte in Nischny-Nowgorod zunächst Geschichte studiert, dann beim Fernsehen „in der Provinz“ gearbeitet und sich offensichtlich eine skeptische Distanz zum Film bewahrt – den er „eine sehr junge und arrogante Kunst“ nennt. Für den selbsterklärt „süchtigen Leser“ kommt an erster Stelle die Literatur, gefolgt von der Malerei. Werke der Romantiker J.M.W. Turner und C. D. Friedrich liefern ihm – dem vom Feuilleton verehrten „Maler der russischen Filmkunst“ – nicht nur Bildideen, sondern inspirieren sogar zu technischen Neuerungen. Schließlich, wie in der „Sonate für Hitler“ zu erleben, sei die Musik die dritte Verbündete des Films.

„Mit diesen drei älteren Geschwistern fühlst du dich viel sicherer“, sagte Alexander Sokurov mit der Gabe für Bonmots, denen man einen langen Nachhall gönnen möchte. Die Bewunderung der Cineasten erntete der Verehrer von Musik und Malerei mit seinem ersten internationalen Erfolg „Russische Arche“ 2002: einem Gang durch 33 Räume der Eremitage und 300 Jahre russischer Geschichte in St. Petersburg in einer einzigen, ungeschnittenen Kamerafahrt. Der Regisseur dirigierte 2000 Schauspieler und Statisten zur Musik von drei Live-Orchestern.

„In der Eremitage habe ich diese Wärme empfunden“

„Ich wollte mich aufwärmen“, antwortet Alexander Sokurov in typischer Selbstironie auf die Frage nach seiner ersten Begegnung mit Russlands größter Sammlung alter Meister: Er hatte gerade eine Abfuhr vom Studio Lenfilm erhalten, draußen waren’s 27 Grad unter Null – und noch Stunden bis zur Abfahrt seines Zuges. „In der Eremitage habe ich diese Wärme empfunden. Es roch nach Firnis und Staub – es war genial.“

 
  © Bereg Studio

Wärme und Zuneigung, betont der Regisseur, will er auch allen Protagonisten seiner poetischen Dokumentarfilme entgegen bringen. Und er zeigt ihnen das Werk, stimmt Änderungen zu – oder verwirft es. Das galt auch für sein Porträt von Putin-Vorgänger Boris Jelzin (1931 bis 2007) in „Sowjetische Elegie“. Der spätere erste Präsident der Russischen Föderation war zunächst empört, weil Sokurovs Film zeigt, wie sehr ihn seine Herkunft aus der Politbüro-Kaste geprägt hatte – dann aber versöhnt.

„Wir wissen, woher Sie kommen“, so Sokurov zu Jelzin. „Sie dürfen nicht zurück.“ Nur zu der naheliegenden Zuschauerfrage, ob Wladimir Putin ein Diktator sei, äußerte sich der studierte Historiker knapp und vorsichtig: „Es braucht mehr Zeit, um Putin beurteilen zu können.“

>>> Angst und Alltagstrott an der Grenze Afghanistans

„Soldier’s Dream“ war 1995 Alexander Sokurovs Beitrag zu den Internationalen Kurzfilmtagen. Das Werk ohne Dialog entstand aus Filmmaterial des damals noch unvollendeten fünfstündigen Werkes „Spiritual Voices“, für das der Filmemacher aus einer Offiziersfamilie 1994 wochenlang russische Soldaten an der Nordgrenze Afghanistans begleitet hatte. Dieses „Kriegstagebuch“ über Angst, Alltagstrott und archaische Landschaften war jetzt während der gesamten sechs Festivaltage allabendlich von 18 bis nach 23 Uhr im Lichtburg-„Studio“ zu sehen. Die letzte Aufführung beginnt am Montag, 6. Mai, um 12 Uhr.