Oberhausen. Oberspielleiter Günther Büch führte die ersten Bühnenwerke des Nobelpreisträgers 2019 vor einem halben Jahrhundert zum europaweiten Erfolg.

Darauf können die Stadt – und ihr Theater – sich durchaus etwas einbilden: Oberhausen machte einen Literatur-Nobelpreisträger. Natürlich ist Peter Handke sein eigener Meister. Aber ohne den kräftigen Anschub durch Günther Büch, vor einem halben Jahrhundert „Oberspielleiter der Städtischen Bühnen Oberhausen“, hätte der damals 23-jährige Kärntner 1966 nicht dieses Wunderjahr erlebt, das einen Unbekannten zum ersten Popstar der deutschsprachigen Literatur katapultierte. Und er wäre auch nicht dem drei Jahre jüngeren Filmstudenten Wim Wenders begegnet: Ohne Oberhausen kein „Himmel über Berlin“ nach Handkes Drehbuch, über das der damals noch kecke „Falter“, das Wiener Szeneblatt, lästerte: „Ein geschwätziges, von Kunstgewerbe angekränkeltes, synthetisches Stück Kino.“

Als „Beat-Poeten“ beschreibt Theaterchronist Gerd Lepges den jungen Peter Handke, der damals im nahen Düsseldorf lebte.
Als „Beat-Poeten“ beschreibt Theaterchronist Gerd Lepges den jungen Peter Handke, der damals im nahen Düsseldorf lebte. © Archiv Kurzfilmtage

Vom Furor um Handkes Frühwerk darf das niemand sagen. Der in diesem Pop-Wunderjahr 1966 (als die Beatles ihr wegweisendes „Revolver“-Album herausbrachten) auch erst 33-jährige Günther Büch verzehrte sich als Bühnen-Berserker wie die sprichwörtliche, an beiden Enden brennende Kerze: 60 Inszenierungen schuf der Regisseur, Dramaturg und schließlich Oberspielleiter in Oberhausen – zwölf Inszenierungen von und mit Peter Handke. Gerd Lepges, bis zu seinem Tod 2017 der Chronist des Bühnenlebens am Will-Quadflieg-Platz, schreibt in seinem Buch „Schauspiel in Oberhausen 1949 bis 1992“ noch vom „Grazer Jung-Autoren“ und „Beat-Poeten“.

Gastspiele in den Metropolen Skandinaviens

An zwei Theatern brachte Büch im Herbst 1966 drei Texte des damals 23-Jährigen zur Uraufführung. In Oberhausen waren es die „Selbstbezichtigung“ und „Weissagung“ – am Berliner Kurfürstendamm die „Publikumsbeschimpfung“. Oberhausens Schauspiel erreichte damit eine bisher ungeahnte Außenwirkung. Während die 13 Aufführungen im Revier „nur“ 2242 Besucher anzogen – entsprechend einer Quote von 70 Prozent – war der Erfolg außerhalb der Stadtgrenzen enorm. Gastspiele brachten die beiden Handke-Uraufführungen nicht nur zum Berliner Theatertreffen 1967, sondern auch nach Amsterdam und in die skandinavischen Metropolen. In Berlin schrieb Großkritiker Friedrich Luft: „Oberhausen kam, völlig zu Recht, mit seinen beiden Handke-Texten zu Ovationen.“

Wegweiser Günther Büch schuf 60 Inszenierungen für das Theater  Oberhausen – und inszenierte zwölf Handke-Uraufführungen.
Wegweiser Günther Büch schuf 60 Inszenierungen für das Theater Oberhausen – und inszenierte zwölf Handke-Uraufführungen. © Archiv Lepges | Rudolf Holtappel

Günther Büchs Berliner „Publikumsbeschimpfung“ schließlich erlebte in der damaligen Inselstadt 75 ausverkaufte Vorstellungen und ging ebenfalls vier Monate auf Europa-Tournee. In Oberhausen war sie als Gastspiel zu sehen. Hochtourig und mit anhaltender Nachwirkung ging’s mit Büch und Handke auch in der Spielzeit 1967 / ‘68 weiter: „Hilferufe“ wurde mit dem Oberhausener Ensemble in Stockholm uraufgeführt, einen Monat später in der Stadthalle. Für die Titelrolle des „Kaspar“ (angelehnt an das „wilde Kind“ Kaspar Hauser) entdeckte Büch einen anderen sich fürs Theater Verzehrenden: den 29-jährigen Ulrich Wildgruber, dessen Karriere dann in den 1970ern bei Peter Zadek in Bochum durchstarten sollte.

In Oberhausen – „wo ich kurz jung war“

Peter Handke indes entdeckte bei den Kurzfilmtagen Wim Wenders – und hatte als junger Großgrantler sicher seine Freude am 1968er „Zensur“-Skandal um Helmuth Costards grobe elfminütige Satire „Besonders wertvoll“. Das als obszön eingestufte Werk mit einem sprechenden Penis in Großaufnahme gab’s nur nichtöffentlich für die Jury zu sehen. Peter Handke erklärte seinen Austritt aus der Internationalen Jury in Oberhausen – „wo ich kurz jung war“, wie er damals sagte, als fast schon abgeklärter 25-Jähriger.

Immerhin fand der resignierte Juror Zeit für Gespräche mit dem damals 22-jährigen Chirurgensohn Wim Wenders aus Sterkrade. Der Student an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film schrieb freiberuflich Filmkritiken. Der TV-Kurzfilm „Drei amerikanische LPs“ war die erste Zusammenarbeit der beiden Pop-Fans. 1972 folgte die zwischenzeitlich sprichwörtliche „Angst des Torwarts vorm Elfmeter“. Wenders’ eigentliches Langfilm-Debüt „Summer in the City“ von 1970 konnte nur auf wenigen Festivals gezeigt werden, weil der Jungregisseur allzu sorglos die Rechte an der Filmmusik ignoriert hatte.

Volles Haus: Peter Handke, bebrillt inmitten des Premierenpublikums auf der Vorbühne des Theaters.  
Volles Haus: Peter Handke, bebrillt inmitten des Premierenpublikums auf der Vorbühne des Theaters.   © Archiv Lepges | Rudolf Holtappel

Weitere 15 Jahre später war dann „Der Himmel über Berlin“ mit seinem Nick Cave-Soundtrack die bis heute berühmteste Zusammenarbeit von Wenders und Handke. Ganz stimmig dazu das Urteil der Nobelpreis-Jury: „Die besondere Kunst von Peter Handke ist die außergewöhnliche Aufmerksamkeit für Landschaften, die Kino und Malerei zu zwei seiner größten Quellen der Inspiration werden ließen.“