Oberhausen. Gunter Demnig kommt am 7. März zum 14. Mal nach Oberhausen, um an Verfolgte, Vertriebene und Ermordete unter der NS-Tyrannei zu erinnern.

Die Stolpersteine von Gunter Demnig – kleine „Denkmale von unten“ zum Gedenken an Verfolgte, Vertriebene und Ermordete aus der Zeit der NS-Tyrannei – sind nach 15 Jahren in Oberhausen längst „Selbstläufer“. Clemens Heinrichs weist im Informationszentrum der Gedenkhalle auf einen hohen Stadtplan, teils dicht an dicht gespickt mit kleinen Fähnchen: Doch dieses eindrückliche Bild der „Stolpersteine-Geografie“ ist unvollständig, denn irgendwann war – zumal im Kartenteil von Alt-Oberhausen – kein Platz mehr für neue Markierungen.

Wie im alten Jahr plant Gunter Demnig am Dienstag, 7. März 2023, einen weiteren, erneut ganztägigen Besuch in Oberhausen – und könnte dann den 300. Stolperstein im Stadtgebiet ins Pflaster setzen. Während der inzwischen 75-Jährige meist still ans Werk geht, das Gesicht unter der breiten Hutkrempe verborgen, bedeuten diese langen Arbeitstage große Momente für die zahlreichen Stolperstein-Paten. „Wir haben fast mehr Anfragen, als wir bearbeiten können“, sagt der Leiter der Gedenkhalle am Kaisergarten, die seit 2008 die Recherchen organisiert: „Sonst bekämen wir die Einsätze von Herrn Demnig nie an einem Tag hin.“

Zu einem ganztägigen Arbeitsbesuch kam Gunter Demnig zuletzt am 17. März 2022 nach Oberhausen – und begann den langen Tag an der Wasserstraße in Holten.
Zu einem ganztägigen Arbeitsbesuch kam Gunter Demnig zuletzt am 17. März 2022 nach Oberhausen – und begann den langen Tag an der Wasserstraße in Holten. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Aus des Künstlers Arbeit mit den kleinen Betonquadern und ihren Messingplatten samt der von Hand eingestanzten Inschriften ist eine lebendige Gedenkkultur erwachsen, die auch für die Wissenschaft wichtige Beiträge einer „Geschichte von unten“ leistet: Ausdrücklich verweist Clemens Heinrichs auf das beständige Engagement des Bertha-von-Suttner-Gymnasiums, das als Partnerschule bereits seit den ersten Oberhausener Stolpersteinen mitwirkt. Nachbarn wollen ebenso Erinnerungsarbeit leisten wie Vereine oder Angehörige.

Besuch von Enkeln und Urenkeln aus Argentinien

So war der im März 2021 gesetzte, erste Stein für ein Oberhausener Opfer der NS-„Euthanasie“, die mit 16 Jahren 1945 verhungerte Ingeborg Tritt, ein bewegender Moment für ihre inzwischen 90-jährige Schwester Edith Dorsch. „Euthanasie und Zwangssterilisationen“, weiß Clemens Heinrichs, „waren jahrzehntelang tabuisiert“. Angehörige wagten sich niemandem anzuvertrauen.

In der Gedenkhalle hilft das kleine Team sowohl mit einer Vorauswahl für Schulklassen als auch wegweisend bei der Recherche: „Manche haben bereits Informationen, sind aber nicht geübt in der Arbeit mit Archiven.“ Andererseits erkannte der Gedenkhallen-Chef, dass auch die sozialen Medien ganz neue Wege auftun können – vor allem, wenn die Nachkommen aus Oberhausen Vertriebener längst zu Amerikanern oder Nordeuropäern geworden sind. „Sie zu finden ist manchmal purer Zufall“, sagt Clemens Heinrichs. Im März jedenfalls werden zum kommenden Stolperstein-Termin auch Enkel und Urenkel aus Argentinien anreisen.

Schülerinnen und Schüler aus dem Geschichtskurs des Bertha von Suttner-Gymnasiums legten im vorigen Jahr Rosen neben jene Steine, die an die Holtener Familie Wolf erinnern.
Schülerinnen und Schüler aus dem Geschichtskurs des Bertha von Suttner-Gymnasiums legten im vorigen Jahr Rosen neben jene Steine, die an die Holtener Familie Wolf erinnern. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Der Künstler kennt seine kleinen „Denkmale“ – über 90.000 an der Zahl – frisch ins Pflaster gesetzt nur blitzblank und goldfarben schimmernd. „Dunkel sind sie fast wieder verschwunden“, so der 59-jährige Kunsthistoriker Heinrichs. Umso mehr freut’s ihn, dass immer mehr Menschen sich in spontanen Initiativen zu Putzaktionen – zuletzt rund um den Pogromgedenktag 9. November – zusammenfanden: „Da war die Stadtgesellschaft aktiv, ohne unseren Impuls.“

Fest gehämmert ins Straßenpflaster – so sorgt Gunter Demnig vor. Seine Stolpersteine sind nicht leicht aus dem Trottoir zu brechen.
Fest gehämmert ins Straßenpflaster – so sorgt Gunter Demnig vor. Seine Stolpersteine sind nicht leicht aus dem Trottoir zu brechen. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Der Leiter von Gedenkhalle und Bunkermuseum kennt aus Oberhausen auch nur zwei Fälle, in denen Stolpersteine aus dem Pflaster gebrochen und beschädigt wurden. Im Oktober 2020 hatten Unbekannte den Stein für Hans Althoff, Vater der „Asso“-Verlegerin Anneliese Althoff, gestohlen. Dabei geht Gunter Demnig, der vor einem Vierteljahrhundert als politisch wacher Künstler von 49 Jahren sein Lebensprojekt gestartet hatte, eigentlich auf Nummer sicher – und füllt selbst die Fugen im Trottoir zwischen Pflaster- und Stolperstein mit stark bindendem Zement.

Projekt über ein Künstlerleben hinaus

Das größte dezentrale Mahnmal der Welt“ hat der nach wie vor unermüdliche Künstler in eine Stiftung überführt; das Urheberrecht liegt bei ihm persönlich. Clemens Heinrichs setzt darauf, dass sich das „Stolperstein“-Projekt über ein Künstlerleben hinaus weiterführen lässt. Denn selbst 300 Steine in Oberhausen erinnern namentlich nur an einen kleinen Teil der vom Faschismus Gequälten und Getöteten: „Wir werden noch lange damit zu tun haben.“

Texte, Fotos und Hörspiele auf der Stolpersteine-App

„Eine App gegen das Vergessen“ bietet der WDR seit dem Vorjahr an: Eine interaktive Karte zeigt alle rund 15.000 Stolpersteine in NRW. Kuratierte Routen sowie eine integrierte GPS-Navigationsfunktion leiten von Stolperstein zu Stolperstein. Biografische Texte, Illustrationen, Hörspiele und historische Fotos machen die Schicksale hinter den Stolpersteinen hör-, seh- und erlebbar.

Ein separater Schulbereich auf der Website stolpersteine.wdr.de bietet Anregungen und Materialien für den Unterricht in der Sekundarstufe. Eine durchsuchbare Datenbank liefert Informationen zu allen rund 15.000 Stolpersteinen in Nordrhein-Westfalen.