Oberhausen. „Objektgeschichten“ auf hohen Tafeln erzählen im Knappenbunker von der Arbeit der Gedenkorte: Spielzeug und Anstecknadel als sprechende Exponate.

Gedenkstätten, sagt Clemens Heinrichs, „muss man in Nordrhein-Westfalen ganz anders verstehen als in Thüringen oder Niedersachsen“. Dort sind Buchenwald und Bergen-Belsen zu weltweit unauslöschlichen Begriffen geworden, arbeiten die Gedenkstätten der einstigen Konzentrationslager mit großer personeller Ausstattung und zugleich als Forschungsstätten. In NRW, erklärt der Leiter von Gedenkhalle und Bunkermuseum, arbeiten die 29 Gedenkstätten „ganz dezentral“, entstanden meist aus bürgerschaftlichem Engagement während der letzten Jahre des 20. Jahrhunderts.

„Mehr als man kennt – näher als man denkt“ lautet das Motto jener Wanderausstellung, die Heinrichs jetzt im Bunkermuseum Alte Heid präsentiert – aus dem schlichten Grund, dass die großen Aufsteller-Tafeln nicht zwischen die massive Dauerausstellung der Gedenkhalle gepasst hätten. Zu sehen ist eine kompakte und überlegt konzipierte Schau. Ihr Coup: Sie erzählt anhand von „Objektgeschichten“ über die Gedenkorte von der NS-„Ordensburg“ Vogelsang in der Eifel bis zur Alten Synagoge Petershagen im äußersten Nordosten von NRW.

Große Schautafeln und kurze Texte erzählen von den 29 Gedenkstätten – wie dem Museum Südwestfalen in Siegen und dem Zellentrakt im Herforder Rathaus.
Große Schautafeln und kurze Texte erzählen von den 29 Gedenkstätten – wie dem Museum Südwestfalen in Siegen und dem Zellentrakt im Herforder Rathaus. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

So repräsentiert eine kleine Anstecknadel die nazistische Kaderschmiede der Ordensburg: Noch Jahrzehnte nach Kriegsende wurde das Abzeichen ungeniert von ehemaligen Kadern als Erkennungszeichen am Revers getragen. Für die Gedenkhalle hatte Clemens Heinrichs dagegen ein kleines Kästchen mit dekorativen Intarsien ausgewählt, das zwar zum Fundus, aber nicht zur Dauerausstellung im Schloss Oberhausen gehört: „Wir haben sie über einen Zeitzeugen aus Saporishja bekommen“, erklärt der 59-jährige Kunsthistoriker.

„Pickende Hühner“ im Tausch gegen Brot

Solche handwerklich fein gearbeiteten „Geschenkartikel“ aus eigentlich ärmlichen Materialresten konnten Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter heimlich gegen Brot tauschen. Auch die Gedenkstätte „Stalag VI A“ im sauerländischen Hemer wählte als beispielhaftes Objekt das aus Holzresten von einem sowjetischen Kriegsgefangenen gefertigte Spielzeug: „pickende Hühner“.

Als „eng verwoben“ beschreibt Clemens Heinrichs die Arbeit der 29 Gedenkstätten, die im Überblick über die letzten Jahrzehnte einen beachtlichen Aufschwung genommen haben. Mussten vor 20 Jahren noch Fördermittel um 120.000 Euro für alle 29 Orte genügen, stehen inzwischen, so der Leiter der Gedenkhalle, „in zwei Förderkörben“ 1,8 Millionen Euro bereit. So kann die Gedenkhalle mit einer Landesfinanzierung, verteilt über zwei Jahre, den Nachlass der Fotojournalistin Ruth Gläser erschließen und daraus eine Sonderausstellung gestalten.

Die Münsteraner Villa ten Hompel, Sitz der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, wählte als sprechendes „Objekt“ ein Gemälde der Massenerschießungen 1941 in Babij Jar bei Kiew.
Die Münsteraner Villa ten Hompel, Sitz der Ordnungspolizei im Nationalsozialismus, wählte als sprechendes „Objekt“ ein Gemälde der Massenerschießungen 1941 in Babij Jar bei Kiew. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Auch die „Objektgeschichten“ machen die ganz unterschiedlichen Anliegen der Gedenkorte deutlich. So zeigt die „Geschichtswerkstatt Französische Kapelle“ in Soest eine Detailaufnahme ihres einzigartigen Kunstschatzes: Gefangene Offiziere hatten einen Kasernenraum als Gotteshaus ausgemalt. 77 Jahre nach Kriegsende ist es eine konservatorische Herausforderung, diese Fresken zu erhalten. „Soest als klamme Kommune“, weiß Heinrichs, „tut sich schwer, diesen Geschichtsort zu entwickeln.“

Erfolgreiche Anne Frank-Ausstellung

Dabei können die 29 Gedenkstätten bis 2019 eine Erfolgsstatistik vorweisen, mit damals 410.000 Besuchern. „Seit Corona sind die Zahlen dramatisch eingebrochen.“ Für den Leiter der Gedenkhalle war allerdings die in der vorigen Woche beendete Anne Frank-Ausstellung ein beachtlicher Erfolg mit über 1000 Besuchern in nur drei Wochen. „Peer Guides“ aus der Anne Frank-Realschule und vom Heinrich-Heine-Gymnasium übernahmen dort die Führungen.

Das Ausstellungsmotto „näher als man denkt“ im Bunkermuseum ist natürlich auch als Einladung zu verstehen. Tatsächlich ist es nicht weit: ob zum Jüdischen Museum Westfalen nach Dorsten oder zur Alten Synagoge nach Essen.

Digital ist die Ausstellung um kurze Filme erweitert

Die „Objektgeschichten“ aus den 29 NRW-Gedenkstätten sind bis zum 30. November im Bunkermuseum im Knappenviertel, Alte Heid 13, zu sehen, geöffnet mittwochs und sonntags von 11 bis 18 Uhr, Eintritt frei.

Die nächsten Führungen bietet das Bunkermuseum am 19. Oktober und 23. November um 18 Uhr. Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl ist eine Anmeldung unter 0208 6070 5310 oder per Mail an gedenkhalle-bunkermuseum@oberhausen.de erforderlich.

Die Landeszentrale politische Bildung als Initiatorin der Ausstellung hat unter politische-bildung.nrw.de (Button: „Erinnern“) auch eine digitale Version der Ausstellung produziert und mit ausführlicheren Texten sowie kurzen Animationsfilmen angereichert. Zudem gibt’s im Bunkermuseum ein 100-seitiges Begleitbuch, schön gestaltet, mit festem Einband, ISBN-10: 3-935811-33-0.