Oberhausen. Die Oberhausener Schuldenlast explodiert – und das bei immer teureren Krediten. Die Kosten für die Multi-Krisen sind allein nicht zu bewältigen.
Wenn man den Job als Kämmerer in Oberhausen ausübt, muss man nervenstark sein und ein fröhliches Gemüt haben. Seit 2010 kümmert sich der Volkswirtschaftler Apostolos Tsalastras (SPD) um die Finanzen der 209.000-Einwohner-Kommune. Die kämpfte damals wie heute nach dem Wegfall von 60.000 Industriearbeitsplätzen in den 70er und 80er Jahren mit geringen eigenen Steuereinnahmen und hohen Sozialausgaben. 2010 lag die Schuldenlast bereits bei 1,7 Milliarden Euro. Oberhausen steckte in der Vergeblichkeitsfalle fest: Aus eigener Kraft waren die Schulden nicht zurückzuführen.
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Doch es gab plötzlich Hoffnung – Rot-Grün legte 2011 den „Stärkungspakt Stadtfinanzen“ auf, von dem Oberhausen am meisten profitierte: Auf Druck des Landes musste Tsalastras zwar ein über zehn Jahre laufendes Sparprogramm mit jährlichen Einschnitten von 40 Millionen Euro verantworten – doch dafür erhielt er Extra-Finanzspritzen des Landes von bis zu 65 Millionen Euro im Jahr.
Zusammen mit einem langen deutschen Wirtschaftsboom und stetig steigenden Schlüsselzuweisungen des Landes, also die Verteilung von bundesweiten Steuereinnahmen an die Kommunen, gelang Oberhausen ein kleines Wunder – die Altschulden stiegen nur noch leicht, verharrten dann auf 1,9 Milliarden Euro. Die Verschuldung je Oberhausener Bürger sank sogar von 9032 (im Jahr 2016) auf 8866 Euro (2019) – die Stadt trug in NRW nicht mehr die Rote Laterne.
Multi-Krisen kosten extrem viel Geld – Neuverschuldung steigt um über 300 Millionen Euro
Doch die Flüchtlingskrise 2015, die Pandemie, der Zustrom von Opfern des russischen Ukraine-Krieges (bisher 3150 Menschen), die hohen Preissteigerungen, die rasant steigenden Zinsen – diese Kosten machten alles zunichte. In den Jahren 2021, 2022 und 2023 muss Oberhausen so viele neue Schulden aufnehmen wie selbst in den ärgsten Jahren davor nicht – gut 300 Millionen Euro in nur drei Jahren. In den zehn Jahren davor, von 2011 bis 2020 benötigte Oberhausen „nur“ 134 Millionen Euro neue Schulden, um die Aufgaben finanzieren zu können.
Hört man da ein wenig Verzweiflung in der Stimme des sonst so optimistisch wirkenden Sozialdemokraten? „Bei so einem rasanten Tempo der Neuverschuldung würde uns selbst eine Altschulden-Lösung durch Bund und Land nicht lange nützen, weil wir die Schuldenlasten direkt wieder auftürmen würden. Wir benötigen dringend direkte Hilfen bei der Bewältigung der Probleme“, sagte Tsalastras kürzlich im Hauptausschuss.
Am Montag wird der Rat den neuen Finanzrahmen des Kämmerers für 2023 wohl absegnen – und dieser Haushalt sieht auf dem Papier sogar ganz ordentlich aus – durch einen vom Land erlaubten Finanztrick. Tsalastras kalkuliert erstmals in der Stadtgeschichte mit über einer Milliarde Euro (exakt 1,048 Milliarden) an Ausgaben, denen immerhin Erträge von 960 Millionen Euro entgegenstehen. Das Minus beträgt also eigentlich 88 Millionen Euro. Damit würde Oberhausen eine vom Land am Gängelband gehaltene „Nothaushaltskommune“ – mit von oben angeordneten Einschnitten für Bürger.
Der Trick mit dem ausgelagerten Spezialkredit für Ukraine- und Pandemie-Kosten
Doch das Land erlaubt allen Kommunen wegen der hohen Kosten durch die Pandemie und des Ukraine-Krieges so zu tun, als hätten sie irgendwo noch Geld gefunden, um ihr Defizit auszugleichen. Die Kosten der beiden Großkrisen, in Oberhausen für 2021 bis 2023 rund 204 Millionen Euro, werden in einem Kredit-Sonderfonds außerhalb des echten Haushalts isoliert.
Dieser Fonds muss allerdings ab 2027 über 50 Jahre getilgt werden – Oberhausen muss deshalb jährlich vier Millionen Euro dafür zahlen, ein halbes Jahrhundert lang. Der Haushalt 2023 wird durch diesen Trick positiv, schließt sogar mit 200.000 Euro Überschuss ab. Das Defizit von knapp 90 Millionen Euro verschwindet fiktiv, und alles ist in Ordnung – auf dem Papier.
Bei allen Schwierigkeiten: Es gibt auch Positives im Haushalt zu entdecken: Erstens stiegen die Gewerbesteuereinnahmen 2022 mit 140 Millionen Euro auf ein Rekordhoch (normal sind 100 bis 110 Millionen), weil Firmen nachzahlen mussten, da sie besser durch die Corona-Krise gekommen sind als erwartet.
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Zweitens zahlt NRW an Oberhausen 2023 über die Schlüsselzuweisungen, die wichtigste Einnahmequelle der steuerschwachen Stadt, 262 Millionen Euro aus – so viel wie nie zuvor. Drittens investiert Oberhausen im nächsten Jahr in Schulen, Straßen, Kitas und IT-Technik 158 Millionen Euro – ebenfalls ein Rekord.
Über 10.000 Euro städtische Schulden je Oberhausener Einwohner
Natürlich passiert dies alles weitgehend auf Pump – und so hat Oberhausen Ende des nächsten Jahres 2,227 Milliarden Euro Schulden – 10.106 Euro pro Bürger. Im Vergleich zu 2010, dem ersten Amtsjahr von Tsalastras, sind das 28 Prozent mehr Finanzlasten – trotz aller Sparerei.
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