Oberhausen. Bank- und Sparkassenkaufleute kennen ihre Klientel ganz genau – und bemerken in diesen Wochen eine abrupte Wende im Verhalten der Bürger.

Wer bei einer Sparkasse beschäftigt ist, entwickelt im Laufe der Zeit ein feines Gespür dafür, was Menschen und Betriebe bewegt. Denn die Kundschaft der Sparkassen besteht überwiegend nicht aus Leuten, die in höheren Sphären schweben, sondern aus Menschen, die ganz handfest den Alltag vor Ort bewältigen.

Oliver Mebus und Thomas Gäng, die Vorstandschefs der Oberhausener Stadtsparkasse, sind deshalb gute Gesprächspartner, um festzustellen, wie sehr sich die Multi-Krisen bereits auswirken. Angriffskrieg Russlands, Lieferprobleme, hohe Frachtkosten, Fachkräftemangel, Chip-Knappheit, Energiekrise, steigende Zinsen, Zehn-Prozent-Rekordinflation – „wir erleben derzeit eine Welle an Krisen, wie wir es bisher noch nicht erlebt haben; die gesellschaftlichen Risiken daraus sind hoch“, beschreibt Mebus die Lage.

Und auch der Blick in die Zukunft fällt nach Gäng eher düster aus: „In den Prognosen sind wir in Deutschland das einzige Land in Europa, dem ein Minus bei der Wirtschaftskraft droht.“ Außerdem litten Städte wie Oberhausen mit einer ärmeren Bevölkerung besonders: „Von den Preissteigerungen ist der Großteil unserer Kunden überdurchschnittlich stark betroffen.“ Wie reagieren die Bürger darauf? Hier die Trends der Stadtsparkasse:

1. Traum vom eigenen Heim ausgeträumt:

Die durch die Geldflut der Zentralbanken auch in Oberhausen stark gestiegenen Immobilienpreise waren bei Mini-Kreditzinsen irgendwie für den einen oder anderen, auch dank Erbschaften, noch bezahlbar. Doch seit Ende 2021, als ein Baudarlehen über 250.000 Euro noch 0,99 Prozent Zinsen (bei zehnjährigem Festzins) kostete, haben sich die Bauzinsen mit 4,4 Prozent vervierfacht – in nur acht Monaten. Ergebnis: Allein die monatliche Zinslast steigt um 700 Euro im Monat an.

Folge: In den letzten Wochen schloss die Sparkasse immer weniger Baukreditverträge ab. Der Traum vom eigenen Haus ist für viele Familien ausgeträumt; aber immer noch kommen auf ein Verkaufsobjekt 20 Interessenten, statt wie in den vergangenen Jahren 100. Deshalb bleiben die Immobilienpreise noch hoch, den Wunschpreis können die Verkäufer aber nicht mehr erzielen. „Auch die Bauträger sind viel vorsichtiger bei neuen Bauinvestitionen.“

Die beiden Oberhausener Stadtsparkassenchefs: Vorstandsvize Thomas Gäng und Vorstandsvorsitzender Oliver Mebus (von links) im März 2021.
Die beiden Oberhausener Stadtsparkassenchefs: Vorstandsvize Thomas Gäng und Vorstandsvorsitzender Oliver Mebus (von links) im März 2021. © FUNKE/Fotoservices | Gerd Wallhorn

Unklar ist auch, wie viele Neu-Immobilieneigentümer beim Hauskauf zu schwere Finanzlasten eingegangen sind. „Die jetzt so viel höheren Lebenshaltungskosten im Vergleich zur früheren Kalkulation der Finanzierung beim Hauskauf belasten – wir können helfen, indem wir den Tilgungsanteil reduzieren“, versichert Mebus. Problematisch wird es für viele auch, wenn die Festzins-Zeit abläuft und man sich neu verschulden muss.

2. Große Zurückhaltung beim Einkaufen:

Zunehmend kaufen die Menschen nur noch das Notwendige, halten sich bei Kleidung und Großanschaffungen wie Möbeln zurück. Mit Konsumkrediten gleichen die Bürger dies nicht aus – das Neugeschäft liegt deutlich unter dem Vor-Corona-Niveau. 2019 rückte die Sparkasse 31,4 Millionen Euro heraus, 2022 waren es bis Ende August nur 17,6 Millionen Euro. „Die Menschen stellen sich auf noch schwierigere Zeiten ein, sie halten ihr Geld zusammen.“ Nicht nur Sparkassenchef Mebus befürchtet erhebliche Folgen für den stationären Handel, für Kneipen, Restaurants und die Kulturszene in Oberhausen: „Die Menschen sparen bei Eis, Kino, Kultur und Restaurantbesuchen, da wo man schnell sparen kann.“

3. Die meisten Menschen leben von der Hand in den Mund

Die gesamten Einnahmen der meisten Familien und Alleinstehenden in Oberhausen gehen in dieser Preis-Krise für den Alltagsbedarf, für Miete und Kfz-Unterhalt drauf. „Viele sind nicht mehr in der Lage zu sparen“, zitiert Vorstandsvize Thomas Gäng die jüngste YouGov-Umfrage, wonach bundesweit 36 Prozent kein Geld mehr zurücklegen. Im kaufkraftschwachen Oberhausen dürfte diese Quote viel höher sein.

Dass die Kunden mit ihrem Geld nicht mehr alles Notwendige bezahlen können, zeigt sich an einem Frühindikator der Banken – den Dispo-Kredit. Diese mit 11,2 Prozent recht teure Geldmöglichkeit hat zuletzt stark an Zuspruch verloren – von 2017 bis Juli 2021. Das lag auch daran, weil Sparkassenberater stattdessen die Umschuldung mit einem billigeren Konsumentenkredit bewarben. Seit Sommer aber ist der Trend gestoppt: Die Oberhausener Kunden sehen sich gezwungen, wieder verstärkt auf den Dispo zurückzugreifen, um ihren Alltagsbedarf schnell zu sichern.

4. Hilfe des Staates zur Krisenbewältigung notwendig

Oberhausener Betriebe sind nach Angaben der Sparkasse relativ gut durch die Pandemie gekommen. Zwar wackeln die Betriebe trotz der hohen Energiekosten auch jetzt noch nicht, weil diese ihre Aufwendungen durch höhere Preise weitergeben konnten, doch hält diese Phase länger an, dann wird es für die Firmen gefährlich. Das gilt erst recht für Bürger mit niedrigen bis normalen Einkommen.

„Der Staat muss helfen und hilft ja, damit die Bürger durch die Krise kommen“, sagt Mebus – und sieht doch einen erheblichen Fehler in der Ausgestaltung der Entlastungspakete. „Der Staat muss zielgerichteter fördern, vor allem die ärmeren Schichten unterstützen. Bisher setzt er zu stark die Gießkanne ein.“

Und das ist teuer: Mebus und Gäng blicken sorgenvoll auf die dreistelligen Milliardensummen für Militär und Energiehilfen: „100 Milliarden, 95 Milliarden, 200 Milliarden – irgendwann muss es am Ende auch finanziert werden.“