Oberhausen. Howard Carpendale als Rapper, Geheimnisse von Sarah Engels und Oli P. im Grinsemodus. Die Schlagernacht des Jahres zeigte einige Überraschungen.
Der verstorbene Entertainer Rudi Carrell setzte in den 1970er-Jahren mit der Abend-Show „Am laufenden Band“ die Akkord-Unterhaltung in Gang. Und auch am Samstag konnten 7300 Fans bei der „Schlagernacht des Jahres“ in Erinnerungen schwelgen. Zwar hatte das Schlager-Spektakel in Oberhausen keinerlei Schnittmengen mit dem heimeligen TV-Dinosaurier. Aber einen pausenlosen Wechsel an Genre-Sängern gab es in der Arena trotzdem.
Acht Stunden Programm, 15 Künstler, zwei DJ-Sets - und jede Menge Jubel. Etwas Ballermann, schmachtender Gentleman-Schlager und balladenhafte Klassiker. Die Schlagernacht sieht sich als Kombi-Produkt aller Stilrichtung der deutschsprachigen Gefühlsmusik. Also: Mal gehaltvoll, mal banal. Vorhang auf!
Schlagernacht: Thomas Anders mit Punktsieg gegen Bohlen
Der Blick in die Rudolf-Weber-Arena zeigt allerdings erst einmal: Die Corona-Pandemie hat Spuren hinterlassen. Im November 2019 feierten noch 12.000 Fans in einer ausverkauften Halle. Nun bleiben im Oberrang einige Plätze frei - abgekühlt hat das die Stimmung aber nicht. Schon früh setzen Schlager-Puristen alles auf Hexenkessel.
Als einer der ersten tritt Thomas Anders vor den unbestuhlten Innenraum und bringt mit Modern-Talking-Klassikern auch englischsprachige Würze in den Laden. „You can win if you want“, kann Anders wörtlich nehmen. Während der 59-Jährige sich selbst mit dem Handy für ein Video aufzeichnet und vor den Klatschenden laut „Das ist Oberhausen!!“ jubiliert, musste sich sein ehemaliger Spezi Dieter Bohlen kürzlich an gleicher Stelle bei einer Box-Veranstaltung mit einigen Hundert Fans begnügen. Punktsieg Anders!
Dafür rieseln auch Konfetti-Schnipsel vom Hallendach. Und wer sich fragt, wie diese rutschige Deko vor dem nächsten Künstler wieder entsorgt wird: Zwei Tour-Helfer reinigen mit einer Art Laubgebläse das Show-Entrée. Saubere Sache!
Schlagernacht: Kameras von RTL fliegen über Köpfe der Fans
Umbaupausen gibt es sonst nicht. Thomas Anders ist mit seinen zwei mitgebrachten Gitarristen schon eine Ausnahme. Die meisten Stars singen als Solisten. Das ermöglicht sehr flotte Übergänge. Die Auftritte sind mit zehn bis 35 Minuten pro Star knapp bemessen.
Schwer angesagt ist momentan Mike Leon Grosch (45). Der Wuppertaler platzierte sich vor knapp 17 Jahren bei „Deutschland sucht den Superstar“ (DSDS), erlitt später zwei Herzinfarkte - und kämpfte sich samt Songs wie „Meine Wahl“ zurück vor seine Fans. Mit „Das glaubt mir kein Schwein… ist das schön“ und „Dies ist das Highlight meines Lebens“ sammelt er in Oberhausen warme Herzlichkeitspunkte.
Im Innenraum sind zwei Bereiche gesperrt: Einmal für die Technik, mit mehr Mischpulten als üblich und eine zweite Insel ragt in Bühnennähe ebenfalls heraus. Kamerawagen fahren dort auf Schienen von links nach recht. Denn der Privatsender RTL up (früher RTL plus) zeichnet die Show auf.
Dicke Objektive schwirren an Kranwagen getragen über die Köpfe der Fans. Die Moderatoren Steffi Brungs und Ramon Roselly setzen ihr TV-Lächeln auf. Immerhin: Die Show läuft flüssig. Kein „Das drehen wir jetzt noch einmal“ unterbricht den Reigen. Das hat man schon mal anders gesehen.
Schlagernacht: Oli P. fegt wie im Kaffee-Rausch über die Bühne
Sarah Engels sorgt für den Schmunzler des Abends. Fünf Songs darf die Ex-Frau von Pietro Lombardi anstimmen. „Ich kann mir nichts merken. Darum habe ich mir die Titel auf die Handfläche geschrieben.“ Kurz vor ihrem Song „Verliebt“ meint sie noch brühwarm: „Liebe ist schon was Schönes!“ Joaa. Stimmt.
Was nicht stimmt, ist in dieser Phase die Abmischung. Die Stimme der 30-Jährigen wirkt besonders hoch und dadurch anstrengend. Der Murmel-Faktor im Halbrund ist größer als sonst. Höflichen Abschluss-Applaus gibt es trotzdem.
Die meist gehörte Frage von den Künstlern lautet: „Wo sind die Hände?“ Wo werden sie schon gewesen sein - meistens mit Klatschen beschäftigt. Beim 90er-Jahre-Star Oli P. ist es sogar ein regelrechter Applaus-Orkan, der aufzieht. Das liegt am sehr agilen Eurodance-Star selbst, der wirkt als hätte er frische Duracell-Batterien eingesetzt oder vor dem Auftritt zehn Tassen Kaffee geext.
Es schallt „Gib mir mein Herz zurück“ (eigentlich Herbert Grönemeyer) oder „Major Tom“ (eigentlich Peter Schilling) - und die Arena rastet aus. Viele Fans haben einen in der Krone. Dabei handelt es sich um kleine, mit Rosa-Licht blinkende Zierde-Krönchen, die sie auf dem Haupthaar tragen. Eine Herren-Gruppe im Innenraum zupft sogar an beleuchteten Fliegen. Irgendwas blinkt immer.
Schlagernacht: Bei Carpendale rufen fast alle „Howieeee“
Solche Spielereien hat Howard Carpendale (76) nicht nötig. Der Südafrikaner begann seine Karriere als Elvis-Imitator, singt aber seit mehr als 50 Jahren deutschen Schmuse-Schlager.
Legenden-Stimmung in der Arena. Laute "Howieeee"-Rufe branden auf. Nachts, wenn alles schläft? Nein, für Oberhausen zählt das heute nicht. „Ich bin gerne in dieser Halle“, sagt Carpendale ganz Gentleman-like. „Dass ich das noch erleben darf, ist für mich das Allergrößte.“ Alte Schule!
Etwas wunderlich: „Das schöne Mädchen von Seite 1“ gibt der Grandseigneur in einer neumodischen Rap-Version zum (nicht unbedingt) Besten. Trotzdem meinen die meisten Fans am Ende: "Hello again?" Immer wieder gerne!
>>> Anfang Dezember strahlt RTL up die Schlagernacht im TV aus
Der Privatsender RTL up zeichnete die „Schlagernacht des Jahres“ in der Arena Oberhausen auf. Die gestraffte Show wird am Mittwoch, 7. Dezember, auf dem über Satellit und Kabel frei zu empfangenden TV-Sender ab 20.15 Uhr ausgestrahlt.
Unter den Stars befanden sich auch Mickie Krause („Schatzi, schenk mir ein Foto“) und Matthias Reim („Verdammt, ich lieb dich“).
Die nächste Schlagernacht in Oberhausen ist bereits vom Veranstalter terminiert worden. Die Schlagerstars kehren am Samstag, 4. November 2023, in die Arena zurück.