Oberhausen. Ob mit Fado-Liedern oder einem Abschied wie in „Casablanca“: Hakan Savaş Mican macht aus Anna Seghers’ Roman glanzvolles Theater für Oberhausen.
Luna Schmid besingt in zartem Portugiesisch „die Barke der Fantasie“ – und die Schauspieler-Band um Martin Engelbach gibt ihrer Sehnsucht einen pochenden Rhythmus. Auf der Probebühne des Theaters Oberhausen vereint Hakan Savaş Micans Inszenierung von „Transit“ nicht allein mediterrane Melancholie nach Noten mit dem großen Text von Anna Seghers Exilroman. Der Regisseur hat auch seine eigenen essayistischen Notizen einer Europareise – und dazu die Filmbilder von Benjamin Krieg – in diese dichte Fassung verwoben.
Zu viel für eine zweistündige Premiere? Dieses „Transit“, nun von zwei Autoren, fordert Aufmerksamkeit. Doch die straffe Inszenierung glänzt mit perfektem Timing. Sie bleibt stets zugänglich – vor allem dank dieses nicht nur musikalisch großartig aufspielenden Septetts auf der Bühne, das Sylvia Rieger dezent im Look von 1940 ausgestattet hat. Hätten nur während der letzten fünf Jahre mehr politisch intendierte Produktionen auch diese künstlerische Integrität vorweisen können – das Theater Oberhausen stünde heute anders da.
Denn hier wirkt nichts erzwungen, trotz des Abstandes von 80 Jahren zwischen den beiden Texten. Ob stille Filmbilder oder beschleunigte Kamerafahrten: Die bühnenfüllenden Projektionen treffen die Atmosphäre der Erzählung punktgenau. Dabei zeigen sie Duisburger Industriekulissen, das graue Meer an der flandrischen Kanalküste oder eilige Büromenschen auf dem monumental leeren Platz im Pariser Hochhausviertel La Defense – und nicht etwa die Cafés, Hafenmolen und Konsulate im malerisch bröckelnden Marseille.
Der schnoddrig-unterkühlte Ton sitzt perfekt
Die Reibung zwischen den Projektionen und dem mit Verve agierenden Ensemble in seinen etwas abgetragen wirkenden Emigranten-Kostümen, die zugleich mit Kragen und Krawatte für dieses letzte Bemühen um Bürgerlichkeit stehen, hat Esprit.
Lässig-proletarisch mit Schiebermütze wirkt allein Julius Janosch Schulte in der Rolle des eigentlich namenlosen Erzählers, der auf seiner Flucht aus Paris die Identität (und die wertvollen Papiere samt Visa) jenes Schriftstellers Weidel annimmt, der sich aus Angst vor den einrückenden Deutschen im Hotelzimmer vergiftete. Den schnoddrig-unterkühlten Ton, mit dem Anna Seghers Schicksale in Fülle auf jeweils wenigen Buchseiten abhandelte, beherrschen auf der Bühne alle perfekt. Dennoch gehört Schultes Leistung herausgehoben: Nicht nur wegen der eindrucksvollen Textmenge, der er sich bravourös stellt. Mehr noch, weil dieser Schlaks das Bröckeln seiner kühlen Distanz durch die meist herben Worte nachdrücklich spürbar macht.
Luna Schmid als geliebte und zugleich auf Abstand gehaltene Marie (die Witwe Weidels, die aber nichts vom Tod ihres Mannes weiß) ist ihm ein perfektes Pendant: In den Dialogen ebenso cool wie er, zeigt sie die großen Gefühle in den berückenden Songs dieses Abends. Vor allem jene Lieder von Madredeus, die einst schon Wim Wenders’ Film „Lisbon Story“ veredelten, lässt sie mit einer Gesangsstimme strahlen, die schwerelos an die ätherischen Höhen etwa des Originals von „O Pastor“ heranreicht. Schmid, die 27-Jährige von der Zürcher Hochschule der Künste, kann als Marie ihre großartigste Leistung in Oberhausen zeigen.
Kleine Wunder an Prägnanz zeigt das gesamte Ensemble: Daniel Rothaug, der als Arzt und Maries Geliebter die „Casablanca“-Konstellation komplettiert (und eine heftig rockende Ukulele drischt); Klaus Zwick, der als Kapellmeister auf dem Weg nach Caracas aus den Absurditäten um Visa, Transit-Papiere und „Sauf Conduit“-Stempel zeitlos-grimmiges Kabarett knetet. Agnes Lampkin tritt immer dann von ihrem gewaltigen Marimbaphon hervor, wenn es gilt, ergreifend-herzlose Concierges zu spielen.
Ein flehender Appell an den Bataclan-Attentäter
Sie hat ihren großen Moment mit einer der Reflexionen von Hakan Savaş Micans eigener Reise: Er erinnert an Samy Amimour, den Busfahrer und 90-fachen Mörder in der Konzerthalle Bataclan. Ihre Rede ist ein bebendes Flehen: „Samy, bitte! Du bist ein Pariser, born and raised!“
Zum Schluss, nach einer „Casablanca“ ebenbürtigen Abschiedsszene, das die Filmkunst von Benjamin Krieg nun endlich mit dem glitzernden Blau des Mittelmeers begleitet, erklärt der am Hafen zurückbleibende Erzähler den Dampfer nach Martinique zu einem „Sagenschiff, ewig unterwegs, dem Fahrt und Untergang zeitlos anhaften“. Anhaltender Applaus dankt für einen großen Theaterabend, bei dem eben nicht nur die virtuosen Lautenklänge von Cham Saloum lange nachhallen.
Im Theater gilt nach wie vor Maskenpflicht
Tickets für die Aufführungen auf der Probebühne in Buschhausen, Lessingstraße 13, kosten 23 Euro, ermäßigt 5 Euro, erhältlich unter 0208 8578 184 oder per Mail an besucherbuero@theater-oberhausen.de. Weitere Vorstellungen folgen am Mittwoch, 11., Samstag, 14., Mittwoch, 18., Samstag, 21., Sonntag, 22., Freitag, 27., und Sonntag, 29. Mai.Eine Kartenstelle richtet das Theater an den Aufführungsabenden auch in Buschhausen ein. Im Probensaal 2 gilt fürs Publikum nach wie vor Maskenpflicht.