Oberhausen. Kurt-Dieter Jünger komponierte ein Fan-Buch besonderer Art: Es versammelt Presseartikel über den Nachruhm des wohl berühmtesten Oberhauseners.
Am Elternhaus des Erzprovokateurs ist eine schlichte Plakette verschraubt, in der Nähe wurde die Pacelli- zur Christoph-Schlingensief-Straße und der LVR benannte seine Förderschule in Sterkrade nach dem international wohl berühmtesten Oberhausener. Nicht zuletzt, ließ das Theater – mutig zwischen zwei Lockdowns – zum zehnten Todestag ein „Schlingensief-Spektakel“ rund um den Altmarkt steigen. Kurt-Dieter Jünger hat das alles beeindruckt. Doch es ist ihm nicht genug – nicht einmal das jetzt von ihm selbst herausgegebene Buch im beeindruckenden LP-Format.
„Christoph Schlingensief“, das 126 Seiten starke Buch im edlen Druck, wie ihn in Oberhausen zuverlässig der Laufen-Verlag aufzubieten weiß, ist mit seiner 300er Auflage eigentlich nur ein Kampagnen-Start. Denn der 68-jährige Autor wünscht sich für seine Heimatstadt ein Schlingensief-Denkmal: „Eine Würdigung in Oberhausen würde die Stadt interessanter machen.“ Der späte Fan des Filmemachers, Theaterregisseurs und Kunst-Aktionisten hat für das Eckchen von Schlingensief-Straße und Altmarkt schon sehr konkrete Vorstellungen: eine hohe steinerne Stele, darauf eine Weltkugel, umspannt von einer Filmrolle.
Andere würden wohl eher das Künstlerantlitz mit der typisch-punkigen Strubbelfrisur für ein Denkmal in den Blick nehmen. Kurt-Dieter Jünger aber sagt entschlossen: „Bei einem Wettbewerb bin ich ‘raus.“ Den gemächlichen Gang einer solchen Entscheidungsfindung durch die politischen Gremien „würde ich nicht mehr erleben“.
Presseschau mit höchst persönlicher Note
Seine eigene Entdeckung des kontroversesten Sohnes der Stadt ist großteils postume Verehrung, blättert man durch den in mancherlei Hinsicht eigenwilligen Band mit dem Titel „Erinnerungen, Dokumente und Würdigung“: Zum allergrößten Teil ist dieses Buch eine Presseschau mit höchst persönlicher Note. Sie startet – noch zu Lebzeiten von Christoph Schlingensief (1960 bis 2010) – mit der im April 2009 in der „Welt“ publizierten Würdigung seines Freundes Benjamin von Stuckrad-Barre: „Die Sache mit Gott ist noch offen“.
Das Gros der Artikel stammt allerdings aus dem Jahrzehnt seit dem Krebstod des Apothekersohnes. Und zwar überwiegend aus WAZ und NRZ: Mit einiger Akribie zeichnet der Band so die Debatte um die Christoph-Schlingensief-Straße nach. Sie hatte den 68-Jährigen „bewogen, eine Ringkladde anzulegen“ – die zugleich den speziellen „Mehrwert“ dieses Dokumenten-Buches ausmacht. An Randbemerkungen und Unterstreichungen kann man sehen, was Jünger als Leser aufbrachte, ihn zu Widerspruch oder Zustimmung reizte.
Eine ansatzweise wissenschaftliche Arbeit sollte daraus keineswegs werden. Beiträge aus den großen Feuilletons hat der Herausgeber nur gelegentlich erfasst – etwa in einem ganzseitigen Bericht der „Zeit“ über das Werden des Operndorfes im bitterarmen westafrikanischen Burkina Faso: „Der weiße Mann schluchzt“ ist ein extensiv mit dem Textmarker durchkämmter Text.
Gerade die Boulevardblätter fehlen
Jene bunten Blätter allerdings, mit denen gerade der Aktionskünstler Schlingensief wie auf einer Klaviatur der Erregungen zu spielen wusste, lässt sein Jünger bewusst außen vor: „Boulevardzeitungen lese ich nicht.“ Lieber reproduziert er selbst die kleinen Meldungen aus Anzeigenblättern. Das „papierne Denkmal“, wie der Ökonom sein Werk nennt, ist sein erstes Buch „seit der Diplomarbeit“ – und war für den Herausgeber-Debütanten mit entsprechenden Aufregungen verbunden. Seinem Verleger Wilhelm Kurze könnten allein fiese Preissprünge beim Papier die freundliche Gelassenheit trüben: Schön gestaltete Bücher sind sein Metier.
Als Stifter von Handwerkskunst im öffentlichen Raum hat Kurt-Dieter Jünger durchaus schlechte Erfahrungen gemacht: Der Sammler besonderer Uhren musste bereits mehrfach erleben, dass seine Sonnenuhr für den Puerto-Morazan-Park in Dümpten, quasi vor seiner Haustür, immer wieder böswillig beschädigt wurde: „Ich lasse mich nicht entmutigen.“ Erst recht nicht bei dem größeren Anliegen eines – von Jünger auf 30.000 Euro Kosten taxierten – Schlingensief-Denkmals.
Der wild entschlossene Underground-Filmemacher
Als Vorsitzender der Literarischen Gesellschaft will Wilhelm Kurze zu einem Schlingensief-Abend einladen, würde gerne das Kino im Walzenlager für ein Programm mit dem Oeuvre des wild entschlossenen Underground-Filmemachers gewinnen. Das schmucke Buch (ISBN 978-3-87468-486-6) zum schwer symbolischen Preis von 19.60 Euro (Schlingensiefs Geburtsjahr) ist nur der Anstoß.