Oberhausen. Was ist los in unseren Seniorenheimen? Angehörige in Oberhausen berichten von überlasteten Pflegekräften und unzumutbaren Zuständen.

Wie steht es um die Pflege alter Menschen? Im Zuge unserer Berichterstattung über den Beirat einer Alteneinrichtung, der nach Querelen mit der neuen Heimleitung entnervt das Handtuch schmiss, wandten sich zahlreiche Oberhausenerinnen und Oberhausener mit der Bitte an diese Redaktion, auf Missstände in der Altenpflege aufmerksam zu machen. Wir lassen an dieser Stelle zwei Angehörige (anonym) über ihre Erfahrungen aus unterschiedlichen Häusern berichten. Die Namen sind geändert.

Anne (50) pflegt ihre Mutter seit 20 Jahren. Unterstützt wurde sie dabei zunächst von einem ambulanten Pflegedienst, Nachbarn, der Familie. Sie war überrascht, wie schwierig es vor sechs Jahren für sie wurde, einen festen Heimplatz für die heute 80-Jährige zu finden. „Meine Mutter wog damals über 120 Kilogramm, die meisten Häuser lehnten eine Aufnahme wegen ihres Gewichtes unverblümt ab.“

„Wer soll das Schwerlastbett bezahlen?“, wurde die Tochter im Vier-Augen-Gespräch gefragt. Einstecken musste sie auch Sprüche wie diesen: „Das ist eine Zumutung für unsere Mitarbeiterinnen!“ Anne traf das hart. Natürlich hatte die Krankenkasse sie darauf hingewiesen, dass die Einrichtungen verpflichtet sind, ein Schwerlastbett zu finanzieren und die alte Dame wegen ihres Gewichts nicht ablehnen dürfen. „Aber das haben sie trotzdem hinter vorgehaltener Hand getan.“ Als Anne endlich einen Heimplatz fand, war die Erleichterung groß.

Ein neuer Alltag im Altenheim mit vielen Tücken

Doch schnell zeigte sich, dass auch der neue Alltag große Tücken mit sich brachte. Anne rät Betroffenen rückblickend: „Wer einen Heimplatz sucht, sollte darauf achten, dass sich die Wäscherei im eigenen Haus befindet.“ Bei ihrer Mutter sei dies nicht der Fall. „Es ist schon viel Wäsche verloren gegangen, Geld haben wir dafür nie erhalten.“ Die vom Haus gestellte Bettwäsche, aber auch die Handtücher seien stets sehr verschlissen. „Als ich mich darüber beschwerte, sagten mir die Pflegekräfte, bei Aldi gebe es ein günstiges Set und Spannbettlaken für zehn Euro, die könnte ich meiner Mutter ja kaufen.“

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Gerne hätte sie sich an einem der Angehörigen-Nachmittage über Zustände wie diese beschwert. „Aber die Heimleitung hat diese verpflichtenden Treffen jedes Mal so kurzfristig einberufen, dass ich und alle anderen Berufstätigen nie daran teilnehmen konnten.“ Die Corona-Pandemie habe schließlich als Vorwand gedient, diese Nachmittage komplett ausfallen zu lassen. „Das ist bis heute so.“

Nach einem halben Jahr stellte die Oberhausenerin fest, dass der Medikamentenplan ihrer Mutter verändert worden war. „Informiert hatte mich darüber niemand.“ Die Mutter leidet an einer Nervenkrankheit. Anne schaltete den Hausarzt ein, der die Heimleitung sofort energisch darauf hinwies, dass wichtige Medikamente ohne Rücksprache abgesetzt worden waren. „Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler“, sei die einzige Reaktion der Heimleitung gewesen.

Verständnis für die Not der Pflegekräfte

„Sie sind dort sehr unterbesetzt“, weiß die Tochter. „So kam es vor, dass meine Mutter mehrfach fiel und stundenlang auf dem Boden liegen blieb, ohne dass ihr jemand half.“ Weil die Mutter Wassertabletten erhält, aber niemand darauf achte, dass sie auch genug trinkt, sei sie bereits zweimal dehydriert im Krankenhaus gelandet. Der Hausarzt verordnete einen Trinkplan. „14 Tage lang wurde das säuberlich protokolliert, seitdem der Arzt das kontrolliert hat, trägt niemand mehr die Trinkmengen ein.“ Auch dies erledigen jetzt sie und ihre Schwester.

Rund 4300 Euro kostet der Heimplatz monatlich. „Inklusive des Pflegegeldes.“ Gut betreut werde die 80-Jährige für dieses Geld nicht. Den Pflegekräften will Anne dennoch keinen Vorwurf machen. „Die meisten arbeiten bis zum Umfallen. Sie wollen, aber sie können diese ganzen Aufgaben gar nicht schaffen.“ Manchmal, gerade nachts, sei eine Kraft für zwei bis drei Stationen zuständig. Das größte Problem sei diese chronische Unterbesetzung. „Viele Pflegekräfte leiden genauso wie wir unter diesen Zuständen.“

Ohne Putzlappen geht sie nie ins Seniorenheim

Sabine (62) hatte sich Ende 2021 schweren Herzens dazu entschieden, einen Heimplatz für ihre Mutter zu suchen. Die 91-Jährige leidet an Demenz. Viele Jahre hatte die Familie sie zuvor unterstützt. Doch immer häufiger kam es vor, dass die alte Dame nach ihrem Aufenthalt in der Tagespflege verloren vor dem Treppenlift im Hausflur stand. Sabine fand sie dort, wenn sie nach der Arbeit zu ihr fuhr. „Sie hatte einfach vergessen, wie man den Lift bedient.“ Zu Fuß aber konnte ihre Mutter die Treppe nicht mehr überwinden.

Als Sabine eines Abends schließlich auch das vorbereitete Mittagessen unberührt vorfand, war ihr klar: „Jetzt müssen wir handeln.“ Sie suchte einen Heimplatz und erhielt schnell einen Zuschlag. Doch die anfängliche Freude wandelte sich rasch in Ernüchterung. „Meine Mutter ist inkontinent, aber das Bad im Seniorenheim wird nie gründlich gereinigt, das ist manchmal richtig ekelig.“ Die Reinigungskräfte huschten früh morgens nur so durch die Räume. „Sie machen noch nicht einmal das Licht an.“ Entsprechend sammelten sich unter dem Bett Staubflocken und Haarbüschel. „Ich glaube, da putzen sie gar nicht.“ Die mitgebrachten Möbel ihrer Mutter würden ebenfalls nie gesäubert.

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14 Tage lang sei ihre Mutter nicht geduscht worden. Die Begründung der Pflegekräfte: „Sie wollte das nicht.“ Das stimme schon, räumt die Tochter ein. Aber sie meint auch: „Dann muss man eine inkontinente demente Frau doch auch einmal freundlich dazu überreden.“ Sabine füllt längst selbst die großen Lücken, die die Einrichtung hinterlässt. Sie putzt das Zimmer ihrer Mutter und das Bad, staubt die Möbel ab und duscht die Seniorin regelmäßig.

Pflegekräfte vergessen, die Mutter zum Mittagessen zu holen

Ein Zuhause-Gefühl will sich bei der 91-Jährigen auch nach so vielen Monaten nicht einstellen. Wie auch? Zweimal hätten die Pflegekräfte bereits vergessen, sie zum Mittagessen zu holen. Doch auch am Tisch gilt: Wer nicht mehr selbstständig essen kann, geht leer aus. „Zeit zum Füttern, hat dort niemand.“ Aber auch Sabine will den Pflegekräften keinen Vorwurf machen. „Ich sehe doch auch, unter welchem Druck sie stehen und wie sehr sie sich dennoch bemühen.“

Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin im Juni 2021 durch ein Seniorenheim (Symbolbild). Viele Pflegekräfte in Oberhausen leiden stark darunter, sich nicht wirklich um die Seniorinnen und Senioren kümmern zu können.
Eine Pflegefachkraft geht mit einer Bewohnerin im Juni 2021 durch ein Seniorenheim (Symbolbild). Viele Pflegekräfte in Oberhausen leiden stark darunter, sich nicht wirklich um die Seniorinnen und Senioren kümmern zu können. © dpa | Sina Schuldt

2500 Euro hat die Familie anfangs aus eigener Tasche für den Heimplatz dazu gezahlt. „Dafür gab es nicht mal ein Glas Saft für die alten Menschen – nur Wasser, Kaffee und Tee.“ Und dann dies: „Der Hausarzt hatte meiner Mutter plötzlich ein neues Medikament verschrieben, das sie beruhigen soll.“ Das habe sie natürlich zunächst empört. „Meine Mutter ist manchmal etwas eigensinnig und laut, aber nicht boshaft oder unruhig im Sinne von verwirrt. Das ist ihre Natur.“ Also hatte Sabine erst den Verdacht, das Heim wollte die alte Frau ruhig stellen. „Ich habe mich aber belehren lassen, es ist wohl ein gängiges Mittel in der Demenzbehandlung.“ Sabine meint dennoch: „Es würde viele Angehörige beruhigen, wenn Einrichtungen damit offener umgehen und sie auch informieren würden.“

Die Oberhausenerin hatte gehofft, durch die Heimunterbringung endlich wieder etwas abschalten zu können, sich vielleicht sogar einen Kurzurlaub gönnen zu können. „Aber das ist nicht drin, ich hätte kein gutes Gefühl, wenn ich meine Mutter dort mehrere Tage alleine lassen würde.“

Angehörige als kostenlose Hilfskräfte eingesetzt

Nicht nur Sabine und Anne, auch viele andere Angehörige haben längst den Eindruck, dass sie als unentgeltliche Hilfskräfte klammheimlich in die Budgetplanungen der Pflegeheime miteingerechnet werden. Für die beiden berufstätigen Frauen bedeutet dies trotz der Unterbringung ihrer Mütter in einem Pflegeheim einen kräftezehrenden Drahtseilakt zwischen Beruf und Betreuung. Sie meinen: „In unserem Pflegesystem läuft etwas ganz gewaltig schief.“ Von den Trägern fordern sie mehr Kostentransparenz ein und von der Politik vor allem dies: „Die Personalschlüssel müssen verpflichtend aufgestockt werden – sonst bleibt Pflege entwürdigend!“

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