Oberhausen. Vor 100 Jahren beschloss die preußische Regierung – nach den Unruhen der Republikgründung – Oberhausen mit eigenem Polizeipräsidium auszustatten.
Im Februar 2022 teilt das Polizeipräsidium Oberhausen mit, seinen Standort im historischen Gebäude am Friedensplatz nach Errichtung eines neuen Gebäudes, das den heutigen funktionalen Anforderungen der Polizei genügen soll, in den kommenden Jahren aufzugeben. Die Oberhausener Öffentlichkeit reagiert darauf mit großer Überraschung und weit verbreiteter Ablehnung, da die Präsenz dieser Landesbehörde am Friedensplatz als nicht nur erwünschte, sondern zudem als notwendige Infrastruktur in der Innenstadt beurteilt wird.
Sicher wird die zukünftige Nutzung des 1927 eingeweihten Gebäudes im repräsentativen Stil des Backsteinexpressionismus in den folgenden Monaten ein intensiv diskutiertes Thema der Oberhausener Stadtgesellschaft bleiben. Es lohnt sich, die Entstehung des Präsidiums und seines Standortes Friedensplatz in den Zusammenhang der Stadtgeschichte einzuordnen. Denn damit kann neben den aktuellen Anforderungen an leistungsfähige Polizeiarbeit eine weitere wesentliche Grundlage für die weitere Diskussion geschaffen werden.
1922, vor 100 Jahren, traf das preußische Staatsministerium des Inneren am 13. Dezember die Entscheidung zur Bildung der Institution „Polizeipräsidium Oberhausen“ zum 1.1.1923. Die neue Behörde ging auf die Erfahrungen der Novemberrevolution von 1918 bis Januar 1919 zurück. Zur besseren Gewährleistung der inneren Sicherheit sollte seit 1919 aus dem Polizeipräsidium Essen, dessen Zuständigkeit sich auch auf die westlichen Nachbarstädte Mülheim, Oberhausen und Sterkrade erstreckte, eine neue, ortsnahe Behörde für jene drei Städte ausgegliedert werden.
Engagierte Konkurrenz um den Sitz des Präsidiums
In den Jahren 1920 bis 1922 lieferten sich dann Mülheim und Oberhausen eine engagierte Konkurrenz um den Sitz. Vertreter der Verwaltungsführungen beider Städte mit Oberbürgermeistern und Dezernenten ebenso wie herausragende Kommunalpolitiker, so Landtagsabgeordnete und Fraktionsvorsitzende von Zentrum, Liberalen und SPD, sprachen im Berliner Innenministerium vor. Der enge Schulterschluss von Politik und Verwaltung genauso wie gute Argumente gaben 1922 endlich den Ausschlag für Oberhausen statt Mülheim. Für Oberhausen sprachen nämlich sowohl die zentrale Lage im Raum von Sterkrade im Norden bis Mülheim im Süden als auch der repräsentative Standort in Verbindung mit der kommunalen Mitgift: dem „Geschenk“ des Grundstücks in bester städtebaulicher Lage. Auch das Gebäude baute später die Stadt Oberhausen.
Vorübergehend bezog Polizeipräsident Wilhelm Weyer das Gebäude der neuen Berufsschule von 1921. Doch wie kam das schließlich 1926/27 als Neubau errichtete Polizeipräsidium an den heutigen Friedensplatz? 1902 und damit vor 120 Jahren erfolgte die Liquidation der AG für Eisenindustrie Styrum. Diese bis zu 700 Menschen beschäftigende Eisenhütte hatte 1901 die Produktion eingestellt. Ihr Firmengelände erstreckte sich vom heutigen Amtsgericht im Norden bis zum Bert-Brecht-Haus im Süden auf 350 mal 200 Meter Fläche. Die Eigentümer strebten hohe Grundstückspreise durch die Ansiedlung von City-Dienstleistungen an. Die Stadt Oberhausen entwickelte sogar eine neue Strategie zur Stadtentwicklung.
Ausdruck des Stolzes und des Selbstbewusstseins
Die Fläche sollte Oberhausen endlich zu einer großstädtischen Innenstadt verhelfen: Das „Industriegelände“, wie die Zeitgenossen sagten, erhielt die Aufgabe der attraktiven Klammer zwischen Bahnhof, Rathausviertel und Geschäftszentrum. Von Norden nach Süden sollte das Behördenviertel wachsen. Dabei bildeten staatliche Einrichtungen die Objekte der kommunalen Begierde. Denn sie repräsentierten Oberhausens Rang als entstehende Großstadt mit 103.500 Einwohnern 1915 und sie schufen zugleich neue Anlässe, die Innenstadt aufzusuchen.
Von Süden nach Norden dagegen sollte sich das Geschäftszentrum ausdehnen. In den 1920er Jahren gelang dabei als spektakulärer Erfolg der Bau des Kaufhauses Tietz und des Gebäudes der Zeitung Ruhrwacht: des heutigen Bert-Brecht-Hauses. Für die städtebaulich attraktive Klammer sorgten der neue Platz zwischen Breite und Elsässer Straße, welcher seit 1945 Friedensplatz heißt, aber ebenfalls der Architekturstil des Backsteinexpressionismus. Ihn betrachteten die Zeitgenossen als geeigneten Ausdruck des Stolzes und des Selbstbewusstseins der aufstrebenden Industriegroßstadt Oberhausen. So prägte er nicht nur Reichsbankstelle, Polizeipräsidium und Bert-Brecht-Haus, sondern auch Arbeitsnachweis (später Wohnungsamt) und Rathausneubau.
Innenstadtentwicklung mit langem Atem
Mit langem Atem verfolgt erwies sich die Innenstadtentwicklung als erfolgreich. Im Behördenviertel des Industriegeländes entstanden vom Amtsgericht 1907 bis zum Finanzamt 1960: Hauptpostamt, Realgymnasium, Berufsschule, Reichsbankstelle – mit dem heutigen Sitz der liberalen jüdischen Gemeinde „Perusch“. Zusätzlich schlugen Reichsarbeitsnachweis 1927 und Stadthalle 1961 die Brücke bis zum Rathaus. Private Dienstleistungen expandierten vom Kaufhaus Tietz 1926 bis zum Europahaus 1955. Oberhausen erhielt eine aufgewertete Innenstadt, in der sich öffentliche und private Angebote ergänzten und bereicherten, zum Wohl der Stadt und ihrer Menschen.
Der Leiter des Stadtarchivs ist auch Romancier
Der Autor unseres Gastbeitrages, Dr. Magnus Dellwig, leitet seit 2016 – seit dem Umzug in ein angemessenes Domizil in Lirich – das Oberhausener Stadtarchiv. Der Historiker und Sozialwissenschaftler wirkte von 1995 bis 2015 im Dezernat des Oberbürgermeisters, und schrieb zahlreiche Veröffentlichungen zur Stadtgeschichte.
Daneben ist Magnus Dellwig auch als literarischer Erzähler so umfangreicher wie historisch fundierter Romane hervorgetreten: von „1989 Führergeburtstag“ (2007) über „Die China-Krise“ (2010) bis zuletzt „1918 – Wilhelm und Wilson“ (2017). Der Autor hat eine eigene Homepage: magnus-dellwig.de.
Genau dieses historische Ziel könnte auch in einer Zukunft gelten, die nach einer neuen Nutzung für das Gebäude des Polizeipräsidiums verlangt.