OBERHAUSEN/MÜLHEIM. Wenn, ja wenn der Erste Weltkrieg anders zu Ende gegangen wäre – dieses Gedankenspiel startet Stadtarchivar Magnus Dellwig in seinem neuen Buch.
- Der Vertrag von Versailles gilt als ein Schicksals-Dokument des 20. Jahrhunderts
- Denn die immensen Reparationszahlungen belasteten die Weimarer Republik schwer
- Was wäre, wenn es Versailles nicht gegeben hätte? Das fragt Magnus Dellwig in seinem neuen Buch
Vielleicht hätten Hitler und der Nationalsozialismus gar keine Chance gehabt. Vielleicht wäre es nie zum Zweiten Weltkrieg, dem Weltenbrand und dem Tod von Millionen Menschen gekommen. Wenn, ja wenn der Erste Weltkrieg anders zu Ende gegangen wäre. Nämlich nicht mit einem Friedensvertrag, der sich als Schmach von Versailles in die Herzen und Hirne der Zeitgenossen einbrannte. Der alte Wunden zementierte, neue Konflikte schuf und Deutschland zum allein Schuldigen am Ausbruch des Krieges stempelte. Sondern mit einem Verhandlungsfrieden beigelegt worden wäre, mit dem der Erste Weltkrieg nicht zur Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts geworden wäre.
Ein 700 Seiten starkes Werk
Historische Romane sind derzeit ein angesagtes Literatur-Genre, gerade angelsächsische Autoren wie Robert Harris oder Ken Follett bringen dem Leser Vergangenes spannend und komprimiert näher. Der in Mülheim lebende Oberhausener Stadtarchivar Magnus Dellwig hat dem Fundus nun ein rund 700 Seiten dickes Werk hinzugefügt. „1918 – Wilhelm und Wilson“ basiert auf dem umfangreichen Wissen des studierten Historikers Dellwig um die tatsächlichen Geschehnisse und politischen Zusammenhänge im Ersten Weltkrieg.
Doch der Oberhausener Stadtarchivar hat daraus eine fiktive Geschichte entwickelt, in der die tatsächlichen Personen der Zeitgeschichte die Handelnden sind. Was Dellwig aus der Ich-Perspektive des späteren Reichskanzlers und Außenministers der Weimarer Republik, Gustav Stresemann, erzählt, ist dabei gar nicht so abwegig oder gar unmöglich. Der Autor spielt mit der gedanklichen Konstruktion „Was wäre gewesen, wenn...“. Wenn die militärische Führung Deutschlands nicht mit dem Kopf durch die Wand gewollt und nicht nur eine militärische Lösung für möglich gehalten hätte. Wenn also die Politik, die Demokraten das Heft in der Hand gehabt hätten. Es gab in Deutschland zu jener Zeit auch andere Leute als die militärische Elite“, sagt Dellwig, „seit 1917 waren SPD, Zentrum und Liberale grundsätzlich zur Zusammenarbeit bereit und hätten eine politische Lösung entwickeln können“.
Um Ausgleich bemühtes Ringen
So knüpft der Oberhausener Autor an die Werte und Positionen der real existierenden Personen wie Gustav Stresemann, Kronprinz Wilhelm oder des US-Präsidenten Wilson an. Deren um Ausgleich bemühtes Ringen miteinander ist durch einen Kunstgriff Dellwigs im Roman möglich: Er lässt Kaiser Wilhelm II. eine Woche vor dem tatsächlichen Sonderfrieden von Brest-Litowsk mit Russland an einem Herzinfarkt sterben. Damit können auch andere Denkmuster zum Zuge kommen als die der Obersten Heeresleitung und des letzten deutschen Kaisers.
Der Roman macht deutlich, wie sehr es auf die einzelnen Personen ankommt, dass nichts zwangsläufig in der Geschichte ist, dass manchmal Kleinigkeiten genügen. Deswegen hat Magnus Dellwig, wie er sagt, die Darstellungsform des Romans so gereizt, weil so die Menschen und ihre Motive im Mittelpunkt stehen. Dabei ist für ihn der Gegenwartsbezug ganz wichtig. Um Frieden möglich zu machen, sei „eine Grundsubstanz von Achtung voreinander und ein Empfinden für die legitimen Rechte des Gegners notwendig“, sagt Dellwig. Der aktuelle US-Präsident Trump sei das genaue Gegenteil von Gustav Stresemann und Woodrow Wilson in seinem Buch.
Dritter Roman des Mülheimer Autors
Magnus Dellwig wurde 1965 in Oberhausen geboren und lebt in Mülheim. Von 1985 bis 1991 studierte er Geschichte und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Uni Bochum: 1995 promovierte Dellwig an der TU Berlin in Neuerer Geschichte.
Seit 1995 arbeitet Dellwig in der Stadtverwaltung Oberhausen. Seine Romane: „1989 Führergeburtstag“ (2007); „Die China-Krise“ (2010). Der Autor hat eine eigene Homepage: http://magnus-dellwig.de/.