Oberhausen. Mit „The Sun Died“ des New Yorker Choreographen Jeremy Nedd startet die Theater-Spielzeit. An nur sieben Abenden versinkt die Sonne in der Tonne.

Nur gut, dass keine elliptischen oder gar eckigen Planeten und Sterne durchs Weltall jagen. So lässt sich die gesetzte Kugelform doch gleich variabel nutzen: Für sieben ganz besondere Theaterabende nämlich verwandelt sich der im Gasometer schwebende blaue Planet in die Sonne – jedoch in eine sterbende Sonne: Mit „The Sun Died“, der Inszenierung des New Yorker Tänzers, Choreographen und Regisseurs Jeremy Nedd, eröffnet das Theater Oberhausen am Samstag, 9. Oktober, um 20 Uhr die neue Spielzeit.

Vor 14 Jahren gab’s „Peer Gynt“ im Gasometer: mit Michael Witte und dem finnischen „Schrei-Chor“ Huutaijatt.
Vor 14 Jahren gab’s „Peer Gynt“ im Gasometer: mit Michael Witte und dem finnischen „Schrei-Chor“ Huutaijatt. © Theater Oberhausen | Jürgen Diemer

Lang ist’s her, dass die so begeisternde wie herausfordernde 117,5 Meter-Tonne sich in eine Schauspielstätte verwandeln durfte. Klaus Weise entdeckte als Intendant den Gasometer fürs Theater Oberhausen. Und Michael Witte schwärmte noch zehn Jahre nach seiner einmaligen Performance als Ibsens großer Fabulierer „Peer Gynt“. Denn einmalig war 2007 nicht nur der Schauplatz mit seiner speziellen Akustik, sondern auch die Konstellation: Johannes Lepper stellte dem einsamen Abenteurer die Recken des finnischen „Schrei-Chors“ Huutaijatt gegenüber: „Zwei Stunden haben wir den Gasometer gerockt.“

Tief bewegt von Ray Charles’ Ballade

Miriam Ibrahim bremst solcherlei Nostalgie: „Es wird kein Spektakel“, betont die Dramaturgin, „sondern eine reflektierte Arbeit“. Denn man könnte – zumal im Ruhrgebiet – beim Stichwort Rollschuhe auf falsche Gedanken kommen: Vier Schauspielerinnen des Ensembles und drei per Inserat angeworbene Statistinnen bewegen sich im Rund unter dem als Sonne strahlenden 20-Meter-Ballon ausschließlich auf Rollen. „Anders ließe es sich nicht erzählen“, sagt Miriam Ibrahim.

Im Bühnennebel der eisigen Nacht ohne Sonne: Das Ensemble von „The Sund Died“.
Im Bühnennebel der eisigen Nacht ohne Sonne: Das Ensemble von „The Sund Died“. © Theater Oberhausen | Isabel Machado Rios

Soweit man von einer „Erzählung“ sprechen kann. Denn am Anfang gab’s nur „The Sun Died“ als einen heute fast vergessenen Song von Ray Charles aus den späteren 1960ern: Jeremy Nedd war tief bewegt von dieser Liebesballade planetarischen Formats – und nahm den Text durchaus wörtlich: „Was wäre wirklich, wenn die Sonne stürbe, wenn das Zentrum nicht mehr existiert?“

Reflexion über Verlust und die Phasen der Trauer

Miriam Ibrahim betrachtet den Gasometer selbst „wie ein Universum“. Wie Planeten lässt der Choreograph aus Brooklyn mit neuer Heimat Basel seine Truppe unter der Sonne ihre Kreisbahnen ziehen. Der Moment, wenn sie erlischt, dürfte Performer und Publikum wie ein Schock durchfahren. Im nachtschwarzen Gasometer bleibt dann nur noch das silbrige Bühnenlicht. Was folgt, werde eine Reflexion über Verlust und die Phasen der Trauer, berichtet die Dramaturgin. In gemeinsamen Improvisationen und mit wenig Text entwickelte das Ensemble sein Spiel zu „The Sun Died“.

„Dieser Raum ist ein richtiges Geschenk.“ Miriam Ibrahim betont aber auch, dass es besonderer Anstrengungen bedarf, wenn Theater „nach draußen“ umzieht. Hinzu kam das lange Bangen, ob der Gasometer auch wirklich pünktlich wieder eröffnen werde. „Jetzt ist er unsere Rettung“: Denn im Schauspielhaus verzögern die Arbeiten den Neustart bis zur Jahreswende.

An nur sieben Abenden im Oktober

Karten für die gut 60-minütige Aufführung von „The Sun Died“ kosten 20 Euro, erhältlich unter 0208 - 8578 184 oder online über theater-oberhausen.de sowie an der Theaterkasse. Wie im eigenen Haus verzichtet das Theater auch im Gasometer auf die Hälfte der möglichen Plätze. Also können jeweils 160 Zuschauer die sieben Abende erleben.

Der Premiere am Samstag, 9. Oktober, folgen weitere Termine am Sonntag, 10., Donnerstag, 14., Freitag, 15., Samstag, 16., Freitag, 22. und Samstag, 23. Oktober, jeweils um 20 Uhr. Es gilt das 3-G-Konzept.

Eine verlöschende Sonne müsste unweigerlich das Ende alles von ihr beschienenen Lebens bedeuten. Aber so hoffnungslos will das Theater sein Publikum nicht aus dem Gasometer entlassen. Die selbstgestellte Frage „Können wir neue Freude empfinden?“ bejaht Miriam Ibrahim – wenn auch vorsichtig. Auch wenn sie ganz weit weg sind von der knallbunten Show-Routine eines „Starlight Express“: Das anstrengende Spiel auf Rollschuhen erlebten alle als „eine Freude und eine Befreiung“, wie die Dramaturgin sagt. „Ich war die einzige, die sich immer ängstlich festhalten musste.“