Oberhausen. Nach langer Sanierung öffnet der Gasometer am 1. Oktober die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“. Wir besuchten die Schau schon vorab.
Selbst das seltene Lichtlein in der kontinentgroßen Eiswüste lässt sich erkennen. „Unsere Forschungsstation in der Antarktis“, nennt Nils Sparwasser als leuchtendes Beispiel für die Detailfülle der „neuen“ Erdkugel im Gasometer: Wieder bespielt das „Earth Observation Center“ den 20 Meter durchmessenden Ballon im 100 Meter hohen Luftraum des Gasometers. Doch das sei alles andere als eine Replik jener „Erdskulptur“ aus der Eine-Million-Besucher-Ausstellung „Wunder der Natur“.
Vier Jahre später, berichtet Sparwasser, der Kommunikationschef im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), „haben wir völlig neue Daten“. Und diese Fülle an Wissen und Fakten macht nicht nur die zwischen Tag und Nacht, allen Wettern und Jahreszeiten wechselnde Erdkugel staunenswert an der neuen Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“. Mit ihr öffnet der Gasometer am Freitag, 1. Oktober, um 10 Uhr nach fast zwei Jahren der Restaurierung.
Nicht nur für die Globusskulptur gilt dieses seltsam vertraute Gefühl von „schon gesehen“ – um nur Momente später von einer Fülle neuer Eindrücke widerlegt zu werden. „Wir haben auf den Wundern der Natur aufgebaut“, bestätigt Thomas Wolf, Fotograf und Co-Kurator an der Seite von Gasometer-Geschäftsführerin Jeanette Schmitz. Das konzeptionelle Gerüst stammte noch von Peter Pachnicke, dessen letztes Werk „Der Berg ruft“ das Matterhorn hatte kopfstehen lassen.
Unerreichbar auf der Fährte des Schneeleoparden
180 großformatige Fotografien zeigen nun – thematisch verteilt auf zwei Ebenen – zweierlei: jenes Naturparadies, das die Erde an besonders behüteten oder entlegenen Orten noch ist, und ihr Zerbrechen.
Dafür schloss die Gasometer GmbH Verträge mit 80 Fotografen oder ihren Agenturen – und musste für ein besonderes Motiv schon mal ein dreiviertel Jahr Geduld aufbringen: Denn jener chinesische Naturfotograf, dessen Begegnung von Murmeltier und Tibetfuchs das Kuratoren-Duo unbedingt zeigen wollte, folgte gerade den Fährten des superseltenen Schneeleoparden – Gebirgsketten entfernt vom nächsten Smartphone-Empfang.
Noch geduldiger, nämlich ein ganzes Jahr, verhandelte Jeanette Schmitz mit den Antikenbehörden in Pompeji um einen der Abgüsse der Toten des Vulkanausbruchs des Jahres 79 zu entleihen. Die Ausgräber des 19. Jahrhunderts hatten, wenn sie jene Hohlräume entdeckten, die Leichen im erhärteten Gestein hinterlassen hatten, diese vorsichtig mit Gips ausgefüllt – und so den Toten wieder Gestalt gegeben. Im Kontext einer Fotoausstellung, die – zumal ringsum auf der ersten Ebene – Naturschönheiten zelebriert, ist dieses „Memento“ ein verstörendes, sogar fragwürdiges Exponat.
Das Verenden einer gewaltigen Kreatur
Schlüssiger erscheint da allemal die Aufrüstung des Regenwald-Kapitels zum virtuellen 3-D-Erlebnis: Hocker und VR-Brillen stehen parat, um dem Schutzgebiet von Tumucumaque im Norden Brasiliens ganz nahe zu kommen.
Blickt man unten einem Wolf mit Eiskristallen im Pelz ins gelblich blitzende Auge – so schockiert auf der zweiten Ebene das Bild vom Verenden einer gewaltigen Kreatur: Justin Hofman fotografierte den Eisbären vor einer braunen Kulisse aus Tundra und Rosttonnen – zum Tode abgemagert, ausgezehrt und taumelnd.
Christian Brückner führt stimmlich durch die Ausstellung
Zu sehen bleibt die Ausstellung „Das zerbrechliche Paradies“ vom 1. Oktober an bis zum Jahresende 2022, geöffnet dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr. Tickets kosten 11 Euro, ermäßigt 8 Euro, als Familienticket 27 Euro.
Der Katalog zur Ausstellung, wieder erschienen im Klartext-Verlag, kostet 19,95 Euro. Außerdem gibt die Zeitschrift „Geo“ ein Sonderheft zur neuen Ausstellung heraus.
Den Audioguide für Erwachsene hat Christian Brückner, bekannt als deutsche Stimme Robert De Niros, eingesprochen. Daneben gibt’s Audioguides in englischer und niederländischer Sprache – und eine Version für Kinder, gestaltet als Rallye.
Für Natur-Idylliker ist dieses umfassende Kapitel in vielen Themen-Kabinetten zwischen den Gestängen der zweiten Ebene eine harte Kost.
Katie Orlinsky zeigt in einem Luftbild aus Sibirien, wie der Permafrostboden wegbricht und ein „Tor zur Unterwelt“ aufreißt. Man blickt einer auf den Betrachter zutreibenden Meeresschildkröte entgegen, heillos verfangen in einem jener „Geisternetze“, die zu Zigtausenden die Ozeane vermüllen. Und David Chancellor fotografierte im „Dallas Safari Club“ einen Trophäenjäger inmitten seiner ausgestopften Beute.
Diese Fotografien sind in einem guten Sinne polemisch. Die harten Fakten dazu liefert wieder das Earth Observation Centre – nicht nur textlastig, sondern auch anschaulich in 20 kleinen Globen. Als Beispiele für deren Erkenntniswert verweist Nils Sparwasser zum einen auf den Globus der Schiffsbewegungen, zum anderen auf jenen der Emissionen: „Die Luftqualität in Europa und Nordamerika wurde besser“ – weil wir unsere problematischsten Produktionen ausgelagert haben: „In Asien wurde sie immer schlechter.“
Der betörende Astronautenblick
Für einen „Anlass zur Hoffnung“, wie Jeanette Schmitz meint, braucht es dann den immer wieder betörenden Astronautenblick aufs große Ganze: Man muss dann allerdings ausblenden, wofür etwa jenes zarte Schimmern im nächtlichen Südozean steht, das die DLR-Datenfülle auf den Globus spielt – nämlich für ganze Flotten auf Tintenfischfang.