Oberhausen. Oberhausens erster Schauspiel-Intendant nach 18 Jahren reinen Musiktheaters feierte anhaltende Erfolge. Dem Revier erschloss er neue Schauplätze.
Mit Bedacht feiert die einstige Gaststätte „Wilhelmshöhe“ zum Auftakt der kommenden Spielzeit „100 Jahre Theater Oberhausen“ – und nicht etwa hundert Jahre Schauspiel. Denn dann würden nicht nur einige Jahre, sondern ganze Jahrzehnte bis zum stolzen Jubiläum fehlen. Während jener Jahre nämlich, als das Theater die Oberhausener mit Oper und Operette beglückte, war es nicht immer ein Zwei- oder Dreispartenhaus. Und selbst der wahrlich revolutionären Zeit des Schauspieldirektors Günther Büch folgte in den 1970ern noch eine Kehrtwende zum reinen Musiktheater.
18 Jahre hatte es kein „Sprechtheater“ in Oberhausen gegeben – bis die Stadtspitzen erkannten, dass ein Schauspiel doch bedeutend günstiger käme als jedes noch so sehr zusammengesparte Opernhaus. So konnte Klaus Weise als neuer Intendant 1992, während des Sommers vor Beginn seiner ersten Spielzeit, stolz plakatieren lassen: „Das Ruhrgebiet hat ein neues Schauspiel.“
Der neue Intendant brachte seine Nachfolger gleich mit
Der heute 68-Jährige aus Gera ist im benachbarten Mülheim an der Ruhr aufgewachsen, studierte in München – und zwar zunächst an der Hochschule für Fernsehen und Film – und avancierte nach Jahren als freier Bühnenregisseur mit 34 Jahren zum leitenden Regisseur am Düsseldorfer Schauspielhaus. Nach zwei Jahren als Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt übernahm er mit 40 die „Neugründung“ in Oberhausen. Das gewaltige Risiko sollte zu einem großen Erfolg werden.
Doch zunächst war für das einstige „Restaurant mit Theatersaal“ aus wilhelminischer Zeit mal wieder ein kleinerer Umbau fällig: Die Kassenschalter wurden zu Tresen für das „Café Auftritt“ (kein bleibender Erfolg), die Bestuhlung im Großen Haus wurde auf 428 Plätze reduziert und der Orchestergraben verschwand unter einer Vorbühne. (Sie ist seit der Intendanz von Florian Fiedler wieder abgebaut zugunsten von drei zusätzlichen Zuschauerreihen).
Klaus Weise durfte zudem mit einem aus heutiger Sicht gewaltigen Ensemble von 27 Schauspielerinnen und Schauspielern durchstarten – 50 Prozent mehr als die heutigen 18. Außerdem brachte der neue Intendant, natürlich ohne es damals zu ahnen, seine beiden Nachfolger gleich mit zur Spielzeit-Eröffnung: Denn Weises eigene Inszenierung von Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ begleitete als Regieassistent Johannes Lepper. Außerdem erlebte das Premieren-Publikum Peter Carps Inszenierung von Ibsens „Gespenster“.
Neues Raum- und Klang-Erlebnis in Europas höchster Ausstellungshalle
Oberhausens Theater-Chronist Gerd Lepges bewertete diesen Einstand mit großen Bühnen-Klassikern als „sperrigen, gewagten Spielplan“ – der allerdings ankam bei den Oberhausenern und bei Theatergängern aus den Nachbarstädten. Sogar das Ebertbad fungierte zeitweise neben dem Großen Haus und dem „Studio 99“ als dritte Spielstätte des neuen Schauspiels.
Damit nicht genug, entwickelte Klaus Weise einen enormen „Drang nach draußen“, um im Jahrzehnt der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscher Park alle möglichen – und selbst nahezu unmögliche – Insignien des Industriereviers zu bespielen. Den Anfang machte der nahe liegende Gasometer als Schauplatz von Shakespeares Schwanengesang „Der Sturm“: Damals war das Raum- und Klang-Erlebnis in Europas höchster Ausstellungshalle noch ganz neu.
Die höchste Halde, ein weiterer Revier-Rekord, erklomm das Theater Oberhausen zu seinem 75-jährigen Bestehen 1995 und ließ auf dem Hochplateau der Halde Haniel „Der Berg ruft“ von Ulrich Greb inszenieren. Der heutige Intendant des Schlosstheaters Moers war auch nicht fies vor dem Klärwerk Emschermündung, um dort verführerisch-walzerselig „An der schönen blauen Emscher“ anstimmen zu lassen. Im stilvoll abgetakelten Saal des Mülheimer Hotels „Handelshof“ entdeckte Klaus Weise den perfekten Schauplatz für Thomas Bernhards „Theatermacher“. Und FM Einheit, den Metallschlagwerker der „Einstürzenden Neubauten“, begeisterte er für die Essener Kokerei Zollverein: eine stählern tönende Kulisse für „Orte der Sehnsucht“.
Kultige Hingabe an „Wilde Herzen – schlaflos in Oberhausen“
Nicht alles war Experiment. Der Intendant versetzte auch Michael Frayns unverwüstliche „Theater im Theater“-Farce „Der nackte Wahnsinn“ in Dauer-Rotation auf der guten, alten Drehbühne. Und sein großes Ensemble erschuf in Eigenregie 1994 einen Serien-Hit, von dem manche bis heute schwärmen: „Wilde Herzen – schlaflos in Oberhausen“ surfte durch zwei ausverkaufte Spielzeiten und erfuhr eine so „kultige“ Hingabe wie sonst nur die „Rocky Horror Show“. Ein derartiger Revue-Hit ist natürlich nicht wiederholbar.
Oder doch? Auch die vier Trash-Polizisten des „Polizeirevier Oberhausen Mitte“ hatten die Theatergänger flugs ins Herz geschlossen. Man merkte es noch vor wenigen Wochen an der bestürzten Resonanz auf die Nachricht vom Tod Frank Wickermanns – einem der vier „Sheriffs“ neben Yorck Dippe, Felix Vörtler und Jeffrey Zach. Für den zeitlosen Krimi-Klamauk von „Arsen und Spitzenhäubchen“ taten sich diese Vier sogar mit den „Missfits“ Gerburg Jahnke und Stefanie Überall zusammen: Das nennt man Hit-Garantie.
Die hochgestimmte Kritiker-Resonanz zeigte, dass Klaus Weise nicht nur nach Entertainment haschte. Fünf Jahre in Folge ging der Titel „Bestes Theater im Rheinland“ nach Oberhausen – das sich damit gegen die Schauspielhäuser von Düsseldorf und Köln behauptete.
Eine Neuheit in der deutschen Theaterlandschaft
Doch von der nachhaltigsten Errungenschaft dieser Erfolgs-Intendanz bemerkt das Publikum herzlich wenig – es sei denn, es registriert die hohe Taktzahl der Premieren und Repertoire-Aufführungen: Die ist erst seit 1999 möglich, denn damals entstanden an der Lessingstraße in Buschhausen die neuen Werkstätten und Probenbühnen im exakten Maß des Originals – eine Neuheit in der deutschen Theaterlandschaft. Für diesen Coup würdigt Gerd Lepges ausdrücklich den „klug wirtschaftenden“ Verwaltungsdirektor Jürgen Hennemann: „Er hatte für diese Aufgabe das passende Finanzierungsmodell entwickelt, um die Kosten aus dem laufenden Etat leisten zu können.“
Rudolf Holtappels Theaterfotos in der Ludwiggalerie
Rudolf Holtappel (1923 bis 2013) war nicht nur der Bühnenfotograf der revolutionären 1960er Jahre unter Schauspieldirektor Günther Büch. Klaus Weise wählt ihn, bewusst an diese Tradition anknüpfend, erneut als Lichtbildner während seiner Intendanz.
Ein Best of aus sechs Jahrzehnten mit der Kamera – von „Blagen“-Bildern bis zur Industriefotografie – zeigt die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen bis zum 6. September mit der Ausstellung „Die Zukunft hat schon begonnen“. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro.
Im Katalogbuch zur Ausstellung (29,80 Euro) würdigt Christine Vogt, die Direktorin der Ludwiggalerie, in einem Essay den „Theaterdokumentaristen“ – gerade im Fall Holtappel ein eher unglücklicher Begriff: Denn auch als 70-Jähriger hielt er sich keineswegs nüchtern-dokumentarisch zurück, sondern „erwanderte“ sich stets neue Perspektiven, teils inmitten des Probengeschehens.
Klaus Weise wechselte 2003 nach elf Jahren als Generalintendant nach Bonn. Seine Nachfolger Johannes Lepper und Peter Carp hatte er ja schon mit Oberhausen bekannt gemacht.