Michael Witte hat sich vom Theater Oberhausen verabschiedet. Er erlebt viele große Bühnenmomente, fürchtet aber die Repertoire-Routine.
- Für die Neuen im Oberhausener Theater beginnen die Proben – für Michael Witte ein neues Leben
- Seit 2004 zählte der Kölner fest zum Ensemble – und blickt zurück mit Stolz auf große Produktionen
- Seine Kritik am Abonnements-Publikum: „dass radikalere Inszenierungen keine Chance haben“
Für die elf Neuen im Oberhausener Ensemble hat die Probenzeit begonnen, dürfte die fiebrige Erwartung stetig steigen bis zu den ersten Premieren der Intendanz Florian Fiedlers. Auch Michael Witte blickt nach vorne – und zurück auf zwölf Jahre im Ensemble, auf 33 Jahre Theaterarbeit. Der 59-jährige Kölner zählt zu den vier Schauspielern der Carp-Truppe, die weder nach Freiburg gingen, noch am Will-Quadflieg-Platz geblieben sind.
„Wir Schauspieler sind Fahrende“, sagt Michael Witte. Er fürchtet die Routine, „will wieder die unbedingte Leidenschaft, will diesen Funken wieder entfachen“. Dabei klingt sein Resümee während des Gesprächs im Kulturcafé genau danach: nach Leidenschaft und nach stetiger Begeisterung für seine Kunst, deren Symbol der durch die Lande rollende Thespis-Karren ist. Nach Routine klingt er keinen Moment.
„Ich pflege das Gute und lass das Schlechte für sich selber sorgen.“ Das Zitat von Henry Miller hat er sich mit den Textmassen von „Sexus“ angeeignet – und zum persönlichen Motto erhoben. Als Miller war Witte 2009 zum „Schauspieler des Jahres“ nominiert; zwei Jahre später holte er die Auszeichnung als Fürst Myschkin in Dostojewskis „Idiot“. Den Oberhausener Theaterpreis überreichte ihm Gerd Lepges gleich zweimal – und auch als Regisseur von George Taboris „Mein Kampf“ nominierten die NRW-Kritiker den energiegeladenen Witte.
Der schwärmt von Rollen, die ihm viel bedeuteten, die er zu gerne noch intensiver geprobt hätte. „Leider wurden viele wunderbare Produktionen nach nur wenigen Vorstellungen abgesetzt.“ Eine Kritik am Abonnements-Publikum, die auch „sein“ Intendant Peter Carp ganz ähnlich geäußert hatte: „In Oberhausen haben manchmal ästhetisch radikalere Inszenierungen keine Chance.“
Keine Chance? Einer wie Witte, der von sich sagt, er habe „eine gute Fresse“, war auch nicht bange vor Ausfallschritten abseits von jenem Ensemble, dem er seit 2004 fest angehörte. Als besondere Erinnerung hegt er jene an die einmalige Performance als Ibsens großer Fabulierer „Peer Gynt“ – im Gasometer. Denn einmalig war 2007 nicht nur der Schauplatz mit seiner speziellen Akustik, sondern auch die Konstellation: Johannes Lepper stellte dem einsamen Abenteurer die Recken des finnischen „Schrei-Chors“ Huutaijatt gegenüber. „Zwei Stunden haben wir den Gasometer gerockt.“ Noch kurz zuvor, als schon die Besucher in die Tonne strömten, hatte Witte einen „Blackout“ und rang um Entspannung . . .
„Fremdbestimmt“, wie er sagt, und jederzeit abrufbar zu sein – das treibt den 59-Jährigen heute hinaus in die „freie Wildbahn“. Er brauche jetzt ein „Innehalten“. In der letzten Carp-Spielzeit war Wittes größte Rolle die des Dr. Faust – und nachdrücklich hatte er bedauert, auch für Goethes Menschheitswerk nur die üblichen sechs Wochen proben zu dürfen. Da sieht er das Repertoire-Theater auf einer schiefen Bahn.
Kleinere Rollen sind aus seiner Sicht sogar „noch schlimmer“. Warum? „Weil ich versuche, sie so reich wie möglich auszustatten.“ Diesen Anspruch an seine Kunst erkennen wohl auch die Fernseh- und Film-Regisseure von Dominik Graf bis Francois Ozon, für die Witte mit seiner „guten Fresse“ Leben in kleine Rollen gepumpt hat. Vor der Kamera komme es darauf an, „auf den Punkt dazusein – ich mag dieses Minuziöse“.
Jetzt möchte er gerne selbst wieder Regie führen – träumt aber auch von einer einsamen Hütte in der Eifel, dem „Glücksort“ seiner Kindheit, um dort schreiben zu können: „Mein Frau sagt immer“, sagt Michael Witte, „in mir steckt noch ein Buch“. Er selbst ist fasziniert von den Biografien widersprüchlicher Genies wie Ezra Pound und Emil Cioran: beide große Stilisten ihrer Sprachen, beide verstrickt in verhängnisvolle Flirts mit dem Faschismus. „Solche Typen reizen mich“, sagt Michael Witte und erwähnt kurz seinen Vater. „Wie ein Eisberg, nur ein Zehntel guckt raus“.
Man darf wohl noch viel erwarten von seinem Forschergeist.