Oberhausen. Nicht wenige Oberhausener schwärmen noch heute von den Großtaten des Theater-Neuerers: von Beat-Konzerten und Peter Handkes „Sprechpartituren“.

Der Literaturnobelpreis des Vorjahres hatte einen Wegbereiter, einen der vor mehr als einem halben Jahrhundert dem 23-jährigen „Beat-Poeten“ aus Kärnten zum ganz frühen Star-Ruhm verhalf: Peter Handke musste nicht vom Glanz der frühen Jahre in Oberhausen zehren; er schrieb stetig und produktiv weiter – entfachte Skandale und Skandälchen noch in den Tagen seiner höchsten Auszeichnung. Günther Büch aber hatte sich produktiv verzehrt: Der Regisseur, Dramaturg und „Oberspielleiter der städtischen Bühnen Oberhausen“ starb 1977 mit nur 44 Jahren.

Wegweiser: Günther Büch (o.) schuf in neun Jahren 60 Inszenierungen für Oberhausen.
Wegweiser: Günther Büch (o.) schuf in neun Jahren 60 Inszenierungen für Oberhausen. © Ludwiggalerie | Rudolf Holtappel

Die 1960er Jahre waren sein Jahrzehnt – vor allem deren zweite Hälfte, die mit Beat und Aufruhr für die gesamte Dekade steht. Bebrillt, mit rundem Gesicht und ebenso rundlicher Gestalt wirkte Günther Büch nicht wie der ikonische Rebell der „Swinging Sixties“. Aber er war’s – und katapultierte das Theater Oberhausen quasi im Alleingang in die Moderne. Der gebürtige Saarbrücker hatte nach dem Studium in seiner Heimatstadt mit ersten Regiearbeiten debütiert. Als 28-Jähriger kam Büch 1961 nach Oberhausen – und legte los: Mit 60 Inszenierungen in neun Jahren befeuerte er die zeitweise vier Spielstätten – und musste diese neuen Kultur-Orte erst einmal aus der Taufe heben.

Einstand mit den eleganten Komödien zweier Iren

Neben dem Großen Haus und den Kammerspielen, damals in der Stadthalle, etablierte der Neue mit dem ungeheuren Elan das „Studio 99“ über dem Malersaal (dem heutigen Saal 2) und das „Theater der Jugend“. Büchs Einstand wurde noch entspannt zur Kenntnis genommen – waren es doch die eleganten Komödien der beiden Iren George Bernard Shaw und Oscar Wilde, deren Pointen der Regisseur in Richtung Posse drehte. „Die Aufführung machte deutlich“, schrieb WAZ-Kritiker Werner Tamms damals sibyllinisch nach der „Bunbury“-Premiere, „wie sehr es der deutschen Sprechbühne an Amüsement dieses Stils fehlt.“

Theater-Chronik: Die Sixties swingen mit „Kaspar“ Büch

17. Oktober 1961: Der 28-jährige Günther Büch gibt seinen Einstand als Regisseur bei den Städtischen Bühnen Oberhausen mit George Bernard Shaws „Helden“.

10. Dezember 1961: Als neue Spielstätte öffnet das „Studio 99“ auf der Probebühne über dem Malersaal (dem heutigen Saal 2). Günther Büch inszeniert ein Eröffnungsprogramm mit einem Sketch von Karl Valentin und der „Unterrichtsstunde“ des erstmals in Oberhausen gespielten Eugene Ionesco.

3. Oktober 1964: Mit „Robinson soll nicht sterben“ inszeniert Günther Büch erstmals für das „Theater der Jugend“, dessen erste Spielstätte das neuerbaute Jugendzentrum am heutigen John-Lennon-Platz war, bald aber auf die große Theaterbühne zurückkehrte.

22. Oktober 1966: Im „Studio 99“ steigt das Uraufführungs-Doppel mit Peter Handkes „Weissagung“ und „Selbstbezichtigung“ sowie, als Prolog, Bert Brechts „Der Jasager und der Neinsager“.

11. Mai 1968: „Kaspar“ Büch inszeniert die Uraufführung von Peter Handkes „Kaspar“ – und im Laufe des Jahres weitere Premieren für Nürnberg, Berlin und Zürich.

12. Juni 1970: Günther Büch verabschiedet sich von Oberhausen mit der Premiere von Brendan Behans „Die Geisel“ in einer deutschen Fassung von Annemarie und Heinrich Böll.

30. September 1977: Als letzte Büch-Inszenierung sehen die Oberhausener das Tournee-Gastspiel von „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nach Heinrich Bölls Roman. Günther Büch war am 26. April in Nürnberg gestorben.

„Büchs ureigenste Domäne“ nennt Oberhausens Theaterchronist Gerd Lepges das kleine, aber meist vollgepackte „Studio 99“: Hier durfte der Neuerer aktuellste Dramatik zeigen und für etabliertere Texte wie Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ neue Formen finden: Die Kriegsheimkehrer-Tragödie kleidete er in einen Raum aus Fotografien von Rudolf Holtappel – solche Foto-Kulissen avancierten zum trendigen „Must“ der Ära Büch.

Mit Bert Brecht am Puls der Zeit: Günther Büchs 1968er Inszenierung der „Dreigroschenoper“ brachte die Kumpel der von Schließung bedrohten Zeche Concordia auf die Bühne.
Mit Bert Brecht am Puls der Zeit: Günther Büchs 1968er Inszenierung der „Dreigroschenoper“ brachte die Kumpel der von Schließung bedrohten Zeche Concordia auf die Bühne. © Ludwiggalerie | Rudolf Holtappel

Im kleinen Studio platzierte der neue Chefdramaturg dann 1966 auch die ersten Uraufführungen der „Sprechpartituren“ von Peter Handke: „Selbstbezichtigung“ und „Weissagung“. Die Kritik zündete ein „Salut dem Nachwuchs“ aus Österreich. Der brav frisierte Büch besuchte mit dem pilzköpfigen Handke das Beatles-Konzert in der Grugahalle, brachte prompt den mit „Beating No. 1“ etwas unbeholfen titulierten ersten Rock-Gig ins Theater Oberhausen – und verkündete genießerisch: „Opas Theater ist tot!“ Das war natürlich von den Kurzfilmtagen geklaut.

Poesie und Provokation, Show und Totentanz

Zu „Kaspar Büch“ wurde der dutzendfache Handke-Regisseur dank dieses bis in die Gegenwart nachklingenden Dramas des Grazers: Fünf Inszenierungen von „Kaspar“ brachte Büch 1968 in deutschsprachige Schauspielhäuser – der Oberhausener Uraufführungen folgten jeweils neue Inszenierungen in Nürnberg, Berlin, Zürich sowie eine Tournee-Produktion. Wie Günther Büch war später wohl nur noch Außenminister Hans-Dietrich Genscher: Er muss sich irgendwann auf der Durchreise selbst begegnet sein.

53 Jahre vor dem Nobelpreis: Peter Handke in seinem Oberhausener Wunderjahr 1966.
53 Jahre vor dem Nobelpreis: Peter Handke in seinem Oberhausener Wunderjahr 1966. © Ludwiggalerie | Rudolf Holtappel

Zur „Gelenkstelle“, so Gerd Lepges, zwischen Büchs festem Engagement als jener Vize-Intendant, der Oberhausen internationales Renommee verschaffte, und seinen späteren Jahren als freier Regisseur wurde wieder eine irische Inszenierung: Brendan Behan (1923 bis 1964) war als Typ noch eine Nummer größer als Büch: noch massiger, noch exaltierter, noch hemmungsloser in seiner Begeisterung. „Die Geisel“, 1970 Büchs letzte Regiearbeit für Oberhausen, vereinte in enger Büch-Behan’scher Harmonie Poesie und Provokation, Show und Totentanz. „Die Aufführung hätte jeder Großstadtbühne Ehre gemacht“, schrieb der WAZ-Kritiker. Ein großer Abgang.

„Er hat die Hölle der Einsamkeit bewusst gelebt“

Günther Büch starb nur sieben Jahre später in Nürnberg. Der Oberhausener Pfarrer Will Adam, der als Regieassistent an der (etwas missglückten) Komödie „Stirb & werde“ mitgewirkt hatte, hielt eine in ihrer Ehrlichkeit bewegende Predigt am Grab. Adam sprach auch von der „ruinösen Lebensweise“ des Rastlosen: „Er hat die Hölle der Einsamkeit bewusst gelebt, um andere durch seine Kunst herauszubringen ins Freie.“