Oberhausen. Der einstige „Castorf-Schauspieler“ kultivierte in Oberhausen seinen Regie-Stil. Mit Ibsens „Nora“ durfte das Ensemble bis in die Karibik reisen.
Einen Bühnen-Berserker wie Günther Büch, der fürs Theater Oberhausen in den wilden Sechzigern eine Inszenierung nach der anderen ‘raushaute, gab’s nur einmal. Aber Herbert Fritsch kommt dem Peter-Handke-Entdecker in seiner hochtourigen Produktivität schon beängstigend nahe: als Schauspieler, Filmemacher, Regisseur und Bühnenbildner. Seine Inszenierungen verhalfen der Intendanz von Peter Carp seit 2008 zu einem glänzenden Start.
Dabei war der heute 69-jährige Allrounder aus Augsburg nie fest ans Theater Oberhausen gebunden, arbeitete als Regisseur lieber fast gleichzeitig für zwei oder drei Häuser – und die standen nicht gerade in Nachbarstädten. Seine „beständigste“ Zeit, wenn man das so sagen kann, hatte der Absolvent der Münchner Otto-Falckenberg-Schule als Schauspieler für die von Frank Castorf dirigierte Volksbühne in Berlin. Das so prägende wie szenige Hauptstadt-Biotop hielt Herbert Fritsch von den frühen 1990ern bis 2007.
Der Theater-Schauspieler übte sich während dieser Jahre bereits als Regisseur – allerdings bevorzugt im Kurzfilm-Metier. Kein Wunder also, dass die Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen Herbert Fritsch als Schöpfer der vier „Lulu“-Filme (nach Frank Wedekind) und der Trilogie „Dr. Jekyll und Mrs. Heidi“ 2009 mit einer Retrospektive würdigten.
„Lauter so verrückte Typen wie ich“
Auch Peter Carp schrieb rückblickend: „Als Erstes lernte ich den Filmemacher Herbert Fritsch kennen – und war sehr beeindruckt und amüsiert.“ Carp, damals noch Schauspieldirektor im schweizerischen Luzern, ließ sich das Fritsch’sche Ideal einer Schauspiel-Regie beschreiben: mit pointiert traditioneller Dekoration und Kostümen – doch in diesen Kostümen „lauter so verrückte Typen wie ich“, so der damals schon über 50-jährige Regie-Debütant.
Peter Carp mit einigem Entdeckerstolz: „Insofern durfte das Theater Oberhausen und vor allem das Oberhausener Ensemble entscheidend an der Entwicklung der Theatersprache von Herbert Fritsch beteiligt sein.“ Ob nun des großen Molières „Tartuffe“ oder „Pferd frisst Hut!“ von Eugène Labiche: Fritsch arbeitete in Oberhausen, zunächst bevorzugt komödiantisch, nach der selbst skizzierten Rezeptur. Die Kostüme eine schrille Augenweide – damit angetan ein noch schriller aufspielendes Ensemble. „Du musst bei den Proben immer 110 Prozent geben“, so zitierte Jürgen Sarkiss (von 2008 bis 2018 in Oberhausen) ein Arbeitsprinzip Fritschs’: „Dann hast du bei der Premiere noch Luft.“
Der einstige „Castorf-Schauspieler“ (ein ziemlich zäh klebendes Etikett) reüssierte: Im Jahr 2009, das Fritsch schon das Kurzfilmtage-Profil bescherte, gab’s auch den Oberhausener Theaterpreis für seine Inszenierungen des heuchlerischen „Tartuffe“ und von „Beute“, Joe Ortons genau 300 Jahre jüngerer Krimi-Groteske.
Der Durchstarter macht sich selbst Konkurrenz
2011 machte sich der vom Feuilleton gefeierte Durchstarter sogar selbst Konkurrenz: Sowohl mit Henrik Ibsens „Nora“ für Oberhausen als auch mit Gerhart Hauptmanns „Biberpelz“ für das Staatstheater Schwerin wurde Herbert Fritsch zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Während der 2010er Jahre avancierte er zum Stammgast der „Bühnen-Berlinale“ und war zudem zweifacher „Bühnenbildner des Jahres“ der Zeitschrift „Theater heute“.
Oberhausens Theater-Chronisten Gerd Lepges war die „Nora“-Inszenierung sogar ein eigenes, auf 130 Seiten bildmächtiges Buch wert: „Mit Nora um die Welt“. Manja Kuhl entzückte in ihrem Babydoll-Kostüm, mit unbändigen roten Locken und kindlich-trotziger Naivität eben nicht nur das Hauptstadt-Publikum. „Nora oder ein Puppenhaus“ reiste 2012 zu Theaterfestivals bis nach Bogotá und Caracas – und nahm auch dort das Publikum im Sturm.
Herbert Fritsch inszenierte weiter mit Gusto die von der eigenen Generation oft gering geschätzten Köstlichkeiten wie „Der Raub der Sabinerinnen“ fürs Hamburger Thalia oder „Frau Luna“ für die gute, alte Volksbühne. Die Bühnen der Millionenstädte ließen ihn jetzt auch Musiktheater kulinarisch-schrill ausstaffieren.
Oberhausen als Sprungbrett und Talentschmiede
Zurück ins Ruhrgebiet holte Herbert Fritsch der neue Bochumer Intendant Johan Simons: Prompt entfachte „Die Philosophie im Boudoir“ ein Skandälchen – allerdings nicht wegen Fritschs allerliebster Ausstattung. Sondern weil der Text des Marquis des Sade noch im 21. Jahrhundert sein Publikum ruchlos an der Gurgel packt.
Peter Carp verwies beim Resümee seiner Intendanz gerne auf weitere Regie-Entdeckungen der 2010er Jahre, sah den Ruf des Oberhausener Theaters als Sprungbrett und Talentschmiede gefestigt. Der erst 32-jährige Australier Simon Stone zeigte hier mit der „Orestie“ seine erste Regie-Arbeit in Europa. Und die Arbeit mit dem „Lulu“-Regisseur Stef Lernous fand unter Carps Nachfolger Florian Fiedler eine feine Fortsetzung in Oscar Wildes „Salome“.