Oberhausen. .

Herbert Fritsch zeigt Henrik Ibsens Stück „Nora oder Ein Puppenheim“ im Theater Oberhausen als große bürgerliche Horrorshow.

So hat man in Henrik Ibsens „Nora oder Ein Puppenheim“ die Titelfigur sicher noch nie gesehen: Als naive Kindfrau mit rosigen Wangen, wallendem Rothaar und gekleidet in etwas, das wie ein halshohes Zwischenstadium von Tutu und Baby Doll anmutet. In seiner Oberhausener Inszenierung des klassischen Emanzipationsstücks macht Herbert Fritsch aus der Bankdirektorsgattin (großartig: Manja Kuhl) eine Art Spieluhr-Ballerina, die sich dem sie umgebenden Puppenheim völlig angepasst hat.

Fritsch hat der Oberhausener Bühne bereits rauschende Theaterabende beschert. Sein Markenzeichen ist dabei der andere Blick auf ausgelaugte Stoffe, was nicht selten dazu führt, dass die Handlung Amok läuft, dass Komödie sich in aberwitzige Groteske versteigt. Die „Nora“ serviert er uns als große bürgerliche Horrorshow, grausig märchenhaft zuweilen, streng stilisiert in Sprachgebung und ausladender Gestik. Ein müder Tannenbaum im Hintergrund, wie aus Buntpapier geschnitten, ist dabei das einzig Sichtbare auf leerer Bühne. Was nicht weiter auffällt, da das prächtige fünfköpfige Ensemble geradezu raumgreifende Auftritte absolviert.

In Ibsens Stück hat sich Nora gerade in eine Ehe mit Bankdirektor Helmer (Torsten Bauer) gefügt, als sie mit einem Fehltritt aus ihrer Vergangenheit konfrontiert wird: Rechtsanwalt Krogstad (Jürgen Sarkiss) hat ihr einst bei einer Unterschriftenfälschung geholfen, um an das dringend benötigte väterliche Vermögen zu gelangen. Nun taucht der Helfershelfer von einst wieder auf und setzt Nora unter Druck. Die Angst geht um im Hause Helmer, akustisch vermittelt durch Bernard Herrmanns berühmte „Psycho“-Filmmusik.

Der Emanzipationsprozess, den Nora nun durchläuft, interessiert den Regisseur dabei herzlich wenig. Bei ihm gibt es ohnehin kein Entrinnen aus einer gespenstischen bürgerlichen Männergesellschaft, in der die Herren wie verwesende Zombies aussehen, die ihre verklemmte Sexualität mit ekliger Gier an Noras Unschuld ausleben wollen. Noch jeder will sie begrapschen, ihr aber mindestens unter den Rock schauen, den sie später bereitwillig ablegt, um im schwarzen Mieder vor den sabbernden Untoten Tarantella zu tanzen. Statt Nora ausbrechen zu lassen aus dieser monströsen Umgebung ständiger Erniedrigung, zeigt Fritsch uns mit einem grandiosen Schlussbild, dass die Möglichkeit zur Flucht ohnehin nur ein Märchen ist: Aus Nora wird das Grimmsche Mädchen mit den Sterntalern, die vom Himmel auf sie herabregnen, weil sie inzwischen alles weggeschenkt hat, ihre Unschuld ebenso wie ihre Würde. Ein großer Abend, lange umjubelt.