Oberhausen. Patricia Nickel-Dönicke erhält den Künstlerinnenpreis NRW. Den Beruf der Dramaturgin beschreibt sie als Job für Multitasker und Diplomatinnen.
So ein maritimes Bild liegt nahe, wenn in der jüngsten eigenen Produktion, „Alles ist wahr – die neun Leben der Marita Lorenz“, ein Schiff wie aus einer Kinderzeichnung die Bühne beherrschte. „Eine Dramaturgin“, sagt Patricia Nickel-Dönicke, „sitzt gleichzeitig mit dem Team im Boot – und soll es als Lotsin von außen navigieren.“ Klingt wie gelebter Widerspruch – ist aber vor allem die Kunst angewandter Diplomatie.
Im Kölner Schauspielhaus erhalten am Samstag, 23. November, zwei Dramaturginnen den seit 1996 jährlich ausgelobten Künstlerinnenpreis des Landes Nordrhein-Westfalen von Kulturministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen: den Hauptpreis, dotiert mit 10.000 Euro, bekommt die Dresdnerin Carena Schlewitt, den mit 5000 Euro dotierten Förderpreis die Vize-Intendantin des Theaters Oberhausen. Die Dramaturgie werde oft „nicht als künstlerischer Beruf gesehen“, sagt Patricia Nickel-Dönicke – sondern eher als Kultur-Management.
„Man fängt alle sechs Wochen bei Null an“
Mit ihrer eigenen Berufsbeschreibung zeichnet die 40-jährige gebürtige Potsdamerin eher das Bild einer passionierten Multitaskerin: Während es gilt, weiter die Aufführungen von „Alles ist wahr“ zu begleiten, läuft das Casting für die Musical-Version von Henrik Ibsens „Peer Gynt“, gilt es mit Regisseur Lars-Ole Walburg an der Bühnenfassung von Erich-Maria Remarques Roman „Der Funke Leben“ vorzubereiten. Und das Programm der Spielzeit 2020/21 entsteht, sobald die aktuelle Spielzeit angelaufen ist . . .
„Man fängt alle sechs Wochen bei Null an“, sagt die Dramaturgin – und klingt dabei gänzlich unverdrossen. Die Vorgeschichte von „Alles ist wahr“ ist sogar zwei Jahre alt: Damals erzählte ihr Ingo Mersmann, der Ex-Nachrichtendienstler und Gründer des Spionagemuseums, die schier unglaubliche Vita von Marita Lorenz. Dominik Busch als Autor des Bühnenwerks war dagegen schnell gefunden: „Wir hatten sehr gute Erfahrungen mit ihm: Das ist ein Autor, der passt hierher.“ Patricia Nickel-Dönicke begleitete den Schweizer Dramatiker nach New York zu ausführlichen Interviews mit der Spionin, die vor 60 Jahren Fidel Castro töten sollte – und fand sich dann auch noch in der Rolle der Kamerafrau.
„Auf diplomatische Art Tacheles reden“
Im April die Interviews mit der 79-Jährigen, im Mai und Juni erste Bauproben, „über die Ferien haben wird die Textfassung bearbeitet“, so umreißt die Dramaturgin das Stakkato des Schauspiel-Machens, „dann begann der Probenprozess.“ Hier übernimmt die Dramaturgie – so sieht es die Künstlerinnen-Preisträgerin – eine ganz besondere Rolle: „Meine Aufgabe ist es auch, den objektiven Zuschauer zu geben.“ Der prächtigste Regieeinfall sollte fürs Publikum vermittelbar bleiben. „Auf diplomatische Art Tacheles reden“, so beschreibt Patricia Nickel-Dönicke diese durchaus heikle Aufgabe.
„Man bewertet dauernd“, bis zu den Endproben auch Intendant Florian Fiedler dazukommt. Allerdings jeden einzelnen Probentermin „ihrer“ Produktion zu begleiten – darin sieht die Dramaturgin keine Versuchung: „Ich möchte nicht zu sehr in den Köpfen der anderen sein – dann könnte ich nicht mehr helfen.“ Eine Lotsin geht nur für heikle Passagen an Bord.
„Wir haben eine große Verantwortung für Karrieren“
Über die einzelne Inszenierung hinaus ist die Besetzungspolitik ein großes Thema unter den Dramaturginnen. „Jede und jeder will in einer tollen Rolle vorkommen.“ Die stellvertretende Intendantin weiß: „Wir haben eine große Verantwortung für Karrieren.“ Dann komme noch die jeweilige Regie mit ihren Favoriten – reichlich Gesprächsstoff für wöchentliche Konferenzen. „Das ist ein richtiges Feilschen.“ Zum Glück sorge Chefdisponentin Ulrike Niestradt dafür, dass von den neun Schauspielerinnen und neun Schauspielern in Oberhausen niemand womöglich „doppelt verplant“ werde.
Wechsel zwischen Luzern und Oberhausen
Zur Spielzeit 2021/22 wechselt Patricia Nickel-Dönicke als Schauspieldirektorin an das Luzerner Theater in der Schweiz. Die 80.000-Einwohner-Stadt am Vierwaldstättersee verfügt über ein Dreispartenhaus mit Musiktheater, Schauspiel und Ballett. Peter Carp, Florian Fiedlers Vorgänger als Intendant, war 2008 vom Luzerner Theater nach Oberhausen gekommen.
Ihre Arbeit in Oberhausen wird die Vize-Intendantin bereits im kommenden Jahr beenden, um sich auf die neue Aufgabe vorzubereiten. Ihr Ehemann Clemens Dönicke bleibt für die Spielzeit 2020/21 allerdings noch beim Oberhausener Ensemble.
Eine ähnlich perfekte „Dispo“ wünscht sich die Dramaturgin manchmal auch fürs Zuhause. „Wir brauchen sehr flexible Babysitter.“ Wichtige Probentermine kommen hinzu oder werden verschoben. Und manchmal findet auch das Oberhausener Publikum kein Ende: „Das Interesse für unsere Nachgespräche ist enorm.“ Nach „Amok“, der wahren Geschichte eines Hochstaplers und Mörders und Patricia Nickel-Dönickes hiesigem Einstand als Dramaturgin, wollten die Zuschauer anderthalb Stunden diskutieren. Dann denkt sie an ihr für den Beruf brennendes Ensemble: „Jetzt aber Schluss und duschen!“