Oberhausen. Die Bühne Oberhausen wappnet sich fürs Jubiläumsjahr: Am 15. September 1920 eröffnete die erste Spielzeit im Saal der Gaststätte Wilhelmshöhe.
Theater macht sich ja immer wieder gerne selbst zum Thema: Was könnte also passen zum im neuen Jahr anstehenden 100. Geburtstag des Theaters Oberhausen: Vielleicht „Der nackte Wahnsinn“ von Michael Frayn, diese rasante Posse über eine grotesk verkrachte Komödientruppe, bei der das Publikum mal die Action auf der Rückseite des Bühnenbildes erlebt? Zuletzt gab’s 2015 diesen hochtourigen Slapstick in der Regie von Sarantos Zervoulakos in Oberhausen.
Man könnte auch endlich mal Eike Weinreichs Film „Unruhezeiten“ in einen der heimischen Filmpaläste bringen, jene Komödie über den Theaterbetrieb und nicht zuletzt seine Finanznöte, an der das gesamte Ensemble der ausgehenden Spielzeit 2016/17 beteiligt war. Denn Chaos und planlose Turbulenzen waren immer wieder ein Leitmotiv, zumal während der frühen Historie des Hauses. Dagegen nehmen sich heutige Aufregungen und Skandälchen wie vergleichsweise ruhiges Fahrwasser aus.
Immer wieder Wechsel zwischen den Sparten
Gleich zwei Pleiten in den Anfangsjahren, dazu frühe Versuche von „Theaterehen“ während der 1920er und immer wieder Wechsel zwischen den Sparten Schauspiel, Musiktheater und gelegentlich Ballett: Derart wildbewegte hundert Jahre lassen sich in strenger Chronologie kaum nacherzählen. Immerhin gibt es ein festliches Eröffnungsdatum – an dem sich nun auch das aktuelle Team um Intendant Florian Fiedler orientiert: Am 15. September 1920 gab man Franz Grillparzers „Sappho“. Die Tragödie von 1818 erzählt in fünf Aufzügen von der unerwiderten Liebe der antiken Dichterin Sappho zu dem Jüngling Phaon. Außer in Österreich wird Grillparzer heute kaum noch gespielt – dabei wäre heute schon der Schauplatz des antikisierenden Dramas, die Insel Lesbos mit ihrem Flüchtlingselend, eine Herausforderung für ambitionierte Regie-Teams.
Das Plädoyer des Chronisten: „Weiterspielen“
Wenige Theater, gleich welcher Größe, wissen ihre bewegte Historie so detailliert dokumentiert: Oberhausen hatte in dem lebenslangen Theaterverehrer und -förderer Gerd Lepges (1951 bis 2017) einen vorbildlichen Chronisten.
Der Kaufmann und studierte Jurist war schon als Kind restlos theaterbegeistert, war später Abonnent an Spielstätten von Bochum bis Amsterdam – und schrieb über die Bühne seiner Heimatstadt Bücher im Dutzend. Die umfassendste (Zwischen-)Bilanz der Jahre 1920 bis 2010 trägt im Titel das programmatische Plädoyer: „Weiterspielen“.
Gerd Lepges begründete zudem – ein weiteres Jubiläum – vor 25 Jahren mit dem Freundeskreis „Theater für Oberhausen“ einen hoch dotierten Theaterpreis, damals ins Leben gerufen, um den Neustart der Schauspiel-Sparte zu unterstützen. Seit 1995 ehrte der Freundeskreis so über 100 Preisträger und hat dafür von treuen Stiftern Preisgelder von mehr als 100.000 Euro eingeworben.
Schauplatz der Premiere 1920 – und bereits für einzelne Gastspiele in den Jahren zuvor – war der Saal der Gaststätte „Wilhelmshöhe“. Dieser Bühnenraum ist die eigentliche Konstante der hundert bewegten Jahre: Der Straßenname mag mehrmals gewechselt haben, die Adresse nicht. Es war die „Oberhausener Bürgergesellschaft“, die den Saal übernommen hatte und so die Theateridee bei der Stadtverwaltung bewarb. 524 Sitzplätze hatte das Schauspiel-/Gasthaus beim Start – mehr als heute.
Die Stadt war Mieterin des Hauses, aber zunächst nicht Trägerin des Theaters – was ins finanzielle Fiasko der ersten Spielzeit führte. So konnte Gründungs-Theaterdirektor Philipp Müller-Walden seine erste Spielzeit nicht vollenden. Neustart. Bereits 1921 versuchte man es mit einer ersten „Theaterehe“ und nahm unverdrossen auch noch das so kostspielige wie beliebte Musiktheater dazu: Die zweite Spielzeit zählte bereits 16 Opern-, 64 Operetten- und 90 Schauspiel-Aufführungen. Der Saal war im Schnitt halbgut gefüllt: Die Auslastung erreichte rund 60 Prozent. Als 1924/25 auch noch Hamborn diesem frühen Theaterverbund beitrat, residierte in Oberhausen für kurze Zeit einer der größten deutschen Theaterbetriebe. Doch diese „Ménage à trois“ scheiterte nicht zuletzt an den bald neu gezogenen Stadtgrenzen.
Der Gestalter des Rathauses machte sich an den Umbau
Die zwölf Jahre der NS-Diktatur bedeuteten auch für das Theater Oberhausen „Gleichschaltung“ – und in der Spielzeit 1933/34 den ersten Auftritt eines ganz Großen der Schauspiel-Historie: Als 19-jähriger Volontär debütierte der Oberhausener Will Quadflieg in Franz Lehars Operette „Friederike“. Heute lautet die Adresse des Theaters Will-Quadflieg-Platz. Eine Aufwertung in Menschen- und Kunst-verachtender Zeit gab’s für das Theatergebäude selbst: Die Stadt kaufte das einstige Gasthaus und Stadtbaumeister Ludwig Freitag, der Gestalter des Rathauses, machte sich an den Umbau. Endlich gab’s auch eine Drehbühne und einen eisernen Vorhang. Zur Wiedereröffnung 1939 am Beginn des Zweiten Weltkriegs war Carl Maria von Webers düster-romantische Oper „Der Freischütz“ über die Verführungskraft des Bösen eine erste Wahl.
Krieg und Zerstörung, Ausweichquartier und eilige Wiedereröffnung: Der Kulturhunger nach „tausend“ Jahren des NS-Reiches war gewaltig. 1947 leistete sich Oberhausen ein Städtisches Sinfonieorchester und der inzwischen berühmte Will Quadflieg gab in seiner Heimatstadt Rezitationsabende. Zur 75-Jahr-Feier der jungen Stadt 1949 eröffnete das wiederhergestellte Theater – nun „Neues Haus“ genannt – mit 814 Plätzen.
Zwei Regie-Maniacs brachten das Schauspiel weit nach vorne
Der nationale, ja internationale Ruf des Theaters Oberhausen kam in den 1960er Jahren mit einem Regie-Berserker aus Saarbrücken, der in nur 44 Lebensjahren das Schauspiel weit nach vorne brachte. Die Westdeutschen Kurzfilmtage hatten „Opas Kino“ erledigt – jetzt war Günther Büch (1932 bis 1977) fürs Theater dran: Der junge Oberspielleiter brachte Rockbands auf die Bühne – und machte aus dem Kärtner „Publikumsbeschimpfer“ Peter Handke einen ganz Großen.
Ein ähnlich glückliches Händchen – und mit „Nora“ einen vergleichbaren internationalen Erfolg – hatte erst wieder Peter Carp, der als Intendant den Regie-Maniac Herbert Fritsch zaubern ließ. Doch zwei Intendanten zuvor war zunächst der letzte heftige Umbruch in der unruhigen Historie dieser Bühne zu stemmen: Mit Klaus Weise wurde 1992 das Musik- zum Sprechtheater, damals ausgestattet mit einem Ensemble aus 27 Schauspielerinnen und Schauspielern. Heute sind’s noch 18.
Knappe Finanzen sind seit 100 Jahren akut
Auch daran zeigt sich: Die knappen Finanzen sind seit hundert Jahren ein Thema im Theater. Die Hamburger Wochenzeitung „Die Zeit“ ermittelte in einem bundesweiten Vergleich der Spielzeit 2014/15 Oberhausen als die relativ – also nicht in absoluten Zahlen – am höchsten subventionierte Bühne: Über 93 Prozent der Einnahmen stammten aus öffentlichen Mitteln. Eike Weinreichs „Unruhezeiten“ erzählen, dass sich auch daran nichts geändert hat.