Mülheim. Trotz Abwärtstrend gibt es immer wieder Einzelhändler und Dienstleister, die sich in der Mülheimer Innenstadtin die Selbstständigkeit wagen. Die Wirtschaftsförderung M&B organisierte jetzt einen Rundgang, um den Austausch von Gründern anzuregen.

Mal schauen, wie andere Jungunternehmer es angestellt haben, sich auf eigene Beine zu stellen: Das konnten jetzt Teilnehmer eines Spaziergangs durch die Innenstadt. Diesen hatten die Wirtschaftsförderungen Mülheim und Oberhausen mit dem Weiterbildungsinstitut WBI als Kooperationsprojekt initiiert, um das Netzwerken von Selbstständigen und Gründungswilligen anzuschieben. Drei Existenzgründer erzählten dabei ihre persönliche Mutmacher-Geschichte.

Sie war so unzufrieden in ihrem alten Job – und ihr Mann, ein Kaufmann im internationalen Geschäft eines großen Essener Unternehmens, war der Mutmacher, den es brauchte, um aus dieser Situation auf kreative Weise auszubrechen: Heute, nur zehn Monate nach der Eröffnung ihrer Boutique für festliche Abend- und Brautmode am Dicks­wall, ist Sevgi Seringölge, überwältigt von dem Lauf, den ihre Gründung genommen hat.

Nischen besetzen

Das Geschäft brummt. Auch weil die Jungunternehmerin reges Marketing betreibt. Etwa zur Zeit der Abibälle, als sie das Freundinnen-Paket schnürte: zusammen kommen, mit Sekt anstoßen, sich beim Frisör nebenan die Haare passend zum Kleid herrichten lassen – und schließlich ein Limousinen-Shuttle zum Abiball. „Das ist fantastisch gelaufen“, glaubt Seringölge, mit ihrem in Mülheim ohnehin außergewöhnlichen Modeladen und einem solchen Spezialangebot den Zeitgeist zu bedienen. Ihr Erfolg ist rasant: Schon im April hat sie ein weiteres Geschäft auf der Marxloher Hochzeitsmeile eröffnet. Weitere Anfragen gebe es aus Stuttgart und Hamburg. Existenzgründerberaterin Uta Willim (M&B) hatte erst Bedenken, ob sich Seringölges Exklusiv-Konzept am Dickswall behaupten kann. Sie stellt erfreut fest, widerlegt worden zu sein.

Städteübergreifendes Projekt für Gründer

Jungunternehmer erkunden gemeinsam Jungunternehmen – für dieses Projekt haben sich die Wirtschaftsförderungen aus Mülheim und Oberhausen sowie das Weiterbildungsinstitut WBI aus Oberhausen zusammengetan.

Ziel ist es, den Austausch (neudeutsch: das Netzwerken) von Existenzgründern zu ermöglichen. Jetzt war eine Tour durch Mülheim angesetzt, zuvor hatte sich die Oberhausener Jungunternehmerszene präsentiert.

Der Besuch am Löhberg 4 trieb dann nicht nur manch einem Teilnehmer des Rundgangs ein Funkeln in die Augen. Bei Buchhändler Michael Fehst blitzt es heute noch auf, wenn er an den Welttag des Buches im Jahr 2010 zurückdenkt, als er seine kleine Buchhandlung eröffnete. Es war, gibt er zu, eine Existenzgründung aus der Not heraus. Die alte Buchhandlung, in der Fehst beschäftigt war, hatte geschlossen. Fehst lief mit Bewerbungen vor Mauern. „Ich sollte 20 sein, 40 Jahre Berufserfahrung mitbringen, für 800 Euro brutto arbeiten, und das aber bitte mit vollem Einsatz.“ Dann wollte er doch lieber, trotz übermächtiger Internet-Konkurrenz, nach eigenem Credo eine Buchhandlung hochziehen. Die nicht Kunden, sondern Gäste willkommen heißt. Die den Mainstream zwar aus wirtschaftlichen Gründen nicht gänzlich umschifft, das Geschäft mit ihm aber auch dazu nutzt, Nischen zu besetzen.

Wirtschaftlich notwendiger Umzug

Fehst spricht mit Poetry Slam und Lesungen auch Jüngere an. Er hofft, sie gewinnen zu können, den kleinen, persönlich ansprechbaren Händler in ihrer Stadt zu unterstützen, statt durch Internetkäufe den Untergang der Innenstädte zu befeuern. „Gerade den Jüngeren“, sagt Fehst, „ist oft nicht bewusst, was ihnen blühen wird. Was nützt das Internet, wenn keiner mehr da ist, der berät? Wenn sie nur noch im Einheitsbrei aufwachsen?“

Auch Gold- und Silberschmiedemeister Marco Seel, ansässig ebenfalls am Löhberg, sucht sich nicht mit Einheitsbrei zu etablieren. Seine Alleinstellung: Bei ihm können Kunden über Groupon-Gut-
scheine einen Kurs buchen, bei dem sie die Herstellung ihres eigenen Schmuckstücks vom purem 750er Goldblech bis zum fertigen Trauring begleiten. Seel weiß um den mangelnden Lauf in der Innenstadt, ist nach dem wirtschaftlich notwendigen Umzug aus dem Rhein-Ruhr-Zentrum dennoch zufrieden, wie das Geschäft in den vergangenen eineinhalb Jahren angelaufen ist.