Mülheim. Bei den Luftangriffen auf Mülheim wurde eine Schwester von Heinz Gwisdalla (85) durch Granatsplitter schwer verletzt, überlebte aber. Im Gegensatz zu seinem kleinen russischen Freund, den die SS im Arbeitslager umbrachte....

Während des Zweiten Weltkrieges lebte Heinz Gwisdalla mit den Eltern, drei älteren Schwestern und zwei älteren Brüdern an der Von-der-Tann-Straße 77 in Styrum. Gut kann er sich an die Flugblätter erinnern, die die Alliierten kurz vor Beginn der Bombennächte über Mülheim abwarfen und darin drohten: „Mülheim, ihr liegt zwar im Loch - aber wir finden euch doch!“

Viele Nächte wurden daher im Keller verbracht, einen richtigen Luftschutzbunker gab es in der Umgebung nicht. „Meist saßen wir bei meiner Tante im Keller“, erinnert sich der heute 85-Jährige. „Sie hatte ein großes Haus direkt gegenüber von unserem.“

In einer Nacht, so erzählt der Zeitzeuge, saß die Familie mal wieder im Keller versammelt, als der Vater rief: „Heinz, komm mal gucken. Unser Haus brennt!“

Von Granatsplittern in den Rücken getroffen

Zwei Brandbomben waren in das Haus der Familie Gwisdalla eingeschlagen, genau in das Bett, wo Heinz Gwisdalla sonst schlief. Bei einem weiteren Granatenangriff wurde seine Schwester Ilse schwer verwundet. „Wir sind alle in den Keller gelaufen, aber sie wollte sich unbedingt noch etwas überziehen“, erinnert sich Heinz Gwisdalla, als wäre es gestern gewesen. „Wir haben vergeblich auf sie gewartet. Ich habe meine Schwester dann nach dem Angriff oben im Haus gefunden, sie wurde von Granatsplittern im Rücken getroffen. Sie hat es aber überlebt.“

Weder sein Vater, der im Ersten Weltkrieg in Russland einen Lungendurchschuss erlitten hatte, noch die Mutter waren überzeugte Nazis. Daher konnte auch Heinz mit dem braunen Gedankengut nicht viel anfangen. Im Gegenteil: Er riskierte einiges, um Menschen, die Opfer des Nationalsozialismus geworden waren, zu helfen.

„Die waren damals ein Vermögen wert“

Ganz in der Nähe des Familienhauses, an der Dümptener Straße, gab es ein Russenlager. „Ich bin öfter mit meinem Vater dort entlanggegangen. Aus seiner Zeit in Russland konnte er Russisch, und so hat er sich mit den Arbeitern dort unterhalten“, berichtet der 85-Jährige. „Und einmal haben wir gesehen, wie ein Russe vor lauter Hunger einen Regenwurm gegessen hat.“ Die Betroffenheit beim Gedanken an die abgemagerten Zwangsarbeiter sieht man Heinz Gwisdalla heute noch an.

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Durch Zufall kam er genau zu dieser Zeit an einen großen Stapel Lebensmittelkarten. „Die waren damals ein Vermögen wert.“ Verdient hatte sie sich der talentierte Musiker durch Gitarrenunterricht. Ohne lange zu überlegen, löste er die Karten in Mülheimer Geschäften ein, aber auch in umliegenden Städten. „Ich wollte auf keinen Fall auffallen“, so Gwisdalla. „Es war absolut ungewöhnlich, so viele Lebensmittelkarten zu besitzen.“

Wegen Mundraubs gehängt

Die Lebensmittel, die Gwisdalla mit den Karten einlösen konnte, brachte er zu einem großen Teil zu den hungernden Menschen im Russenlager. „Sie waren unheimlich dankbar. Ich erinnere mich besonders an einen kleinen Jungen,er war etwa zwölf Jahre alt, dessen Name so kompliziert war, dass ich ihn Stalin nannte. Irgendwie freundeten wir uns an.“

Um so größer der Schock, als der damals 14-jährige Heinz hörte, dass im Arbeitslager an der Dümptener Straße Russen wegen Mundraubes gehängt würden. „Ich bin sofort dahin gerannt und sah sechs Menschen mit Stricken an einer Art Fußballtor baumeln, unter ihnen war auch der kleine Stalin.“

Während Gwisdalla erzählt, muss er mit den Tränen kämpfen. „Grausam, wie die SS-Leute waren, berührten die Zehenspitzen der Hingerichteten den Boden, so dass der Todeskampf entsetzlich lange dauerte.“ Den letzten Blick von seinem kleinen Freund Stalin kann er bis heute nicht vergessen.