Mülheim. Der Mülheimer Ernst Hasselbach (75) hat noch dramatische Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Einmal mussten er und seine Mutter auf dem Weg zum Bunker um ihr Leben rennen, beschossen von Tieffliegern. Panikattacken quälten Hasselbach danach noch lange...

Ich wurde am 24. Mai 1939 in Mülheim geboren. Aufgewachsen in der Siedlung Heimaterde, Neulens Höhe 28, erlebte ich dort auch die Kriegs- und Nachkriegszeit. Etwa beginnend mit dem verheerenden Bombenangriff auf Mülheim im Juni 1943 habe ich deutliche Erinnerungen an den Zweiten Weltkrieg. Aus diesem „Erinnerungspaket“ sind mir zwei Ereignisse ganz besonders bewusst geblieben.

Dies ist zum einen der Angriff im Juni 1943 auf unsere Stadt, über den ja bereits viele Zeitzeugen in WAZ berichtet haben.

Doch nicht nur die Mülheimer Innenstadt wurde dabei stark zerstört, auch die Siedlung Heimaterde bekam einiges ab. Diese Bombennacht erlebten mein Großvater, meine Mutter und ich im sogenannten „Luftschutzkeller“ unseres dortigen Siedlungshauses Neulens Höhe 28. Warum wir damals keinen öffentlichen Luftschutzbunker aufsuchten, weiß ich nicht. Wahrscheinlich war es so, dass die Bomber schon kurz nach dem ersten Alarm eintrafen, so dass wir wohl keine Zeit mehr hatten, das Haus zu verlassen.

Einen ausreichenden Schutz gegen Bombentreffer bot unser Keller wohl kaum, da er im Grunde nur ein normaler, kleiner Kellerraum von ca. vier mal anderthalb Metern war, „gesichert“ durch eine Metalltür mit Hebelverschluss und einer leicht verstärkten Decke. Das ganze Haus erbebte bei jedem näher kommenden Bombeneinschlag – dazu das beängstigende Dröhnen der Flugzeugmotoren.

Der Sunderplatz, wo mehrere Häuser durch Bombentreffer zerstört wurden, lag knapp 100 Meter Luftlinie von unserem Haus entfernt. Auch in der noch näher liegenden Max-Halbach-Straße erlitten Häuser Bombenschäden. Die Angst, dass es auch unser Haus treffen könnte, war kaum zu beschreiben, dazu das Gefühl, in der Enge des Kellers fast ersticken zu müssen. Ich bewundere noch heute die Haltung meines Großvaters (damals schon über 70), der meine Mutter und mich immer wieder beruhigen und vor Panik bewahren konnte.

Welch eine Erlösung, als nach einer gefühlten Ewigkeit das Dröhnen der Flugzeugmotoren abebbte und keine Bomben mehr fielen! Unser Haus (wie übrigens alle Häuser in unserer Straße) war nicht getroffen worden! Wir hatten überlebt.

Ein noch dramatischeres Geschehen erlebten meine Mutter und ich Anfang 1945: Wieder einmal, wie so oft in jenen letzten Wochen und Tagen des Krieges, Fliegeralarm am helllichten Tag... Und wieder einmal in höchster Eile hin zum nächsten Luftschutzbunker! Dazu mussten wir unsere Straße überqueren, anschließend das zum Siepental zwischen Neulens Höhe und Nollendorfstraße bergab führende Gartenstück unseres Nachbarn entlanglaufen, um dann von dort aus nach rechts durchs Siepental den ca. 100 Meter entfernten Bunkereingang unterhalb der Kleiststraße zu erreichen.

Noch während wir uns im letzten Teil des Nachbargartens befanden, hörten wir plötzlich Motorenlärm: Tiefflieger! Nun ging es um unser Leben! Kaum unten im Tal angelangt, krachten auch schon die Geschosssalven. Im Bunkereingang sehe ich noch heute einen Mann, der in heller Aufregung immer wieder schreit: „Hinlegen! Hinlegen!“ Aber meine Mutter und ich rennen in höchster Panik einfach weiter – neben, vor und hinter uns prasseln die Einschläge der Geschosse. Wie durch ein Wunder erreichen wir beide unverletzt den rettenden Unterschlupf.

Bis heute bin ich mir nicht darüber im Klaren, ob an Bord des Fliegers ein schlechter Schütze saß oder ob er absichtlich vorbeischoss, weil er Spaß daran hatte, uns einfach nur zu jagen. An die Stunden danach fehlt mir jede Erinnerung, aber ich litt noch lange Zeit unter Weinkrämpfen und hatte bis weit nach Kriegsende beim Anblick eines Flugzeuges am Himmel mit Panikattacken zu kämpfen. Möglicherweise mag dieses Erlebnis mit ein Grund dafür sein, dass ich bis heute noch kein Flugzeug betreten habe.

Zur Person: Ernst Hasselbach

Seiner Geburtsstadt Mülheim ist der 75-Jährige bis heute treu geblieben. „Ich bin Ur-Mülheimer“, sagt Ernst Hasselbach. Mittlerweile wohnt er in Menden. Er ist verheiratet und hat eine Tochter.

Seine Ausbildung zum Buchbinder absolvierte Hasselbach als junger Mann in Essen-Kettwig, später schulte er um zum Industriekaufmann. Über 30 Jahre lang arbeitete er in diesem Beruf für ein Gelsenkirchener Unternehmen.