Mülheim. Nur 7.6 Prozent der Grundschullehrer in der Stadt sind männlich. Aber Kinder brauchen auch männliche Bezugspersonen. Darin sind sich Experten und Praktiker einig. An weiterführenden Schulen arbeiten mehr Lehrer.
Es herrscht Männermangel hinter den Pulten der Grundschulen. Und das bereits seit einiger Zeit. Nach einer Datenerhebung des Landesamtes für Statistik im November 2013 sank der Anteil der Lehrer an Grundschulen von 10,9 Prozent im Jahr 2005 auf 9 Prozent im Jahr 2012. In Mülheim selbst liegt die Quote bei 7,6 Prozent, in der Nachbarschaft in Oberhausen bei 10,2 Prozent.
Doch woran liegt dieser anhaltende Abwärtstrend?
Ein Faktor ist wohl das niedrigere Gehalt eines Grundschullehrers im Vergleich zu dem eines Lehrers an der weiterführenden Schule (siehe Kasten). Ein weiterer, dass der Beruf immer noch weitestgehend ausschließlich mit Frauen in Verbindung gebracht wird. Susanne Hirsch vom Grundschulverband kann diese Erklärungsansätze nur bestätigen. „Es geht um Prestige und Gehalt.“, so sagt sie. Das wissen auch die Lehrer von morgen. Der Trend spiegelt sich in den Lehramtsstudiengängen an den Universitäten wider: 83 Prozent der Neustudenten für Grundschullehramt an der Universität Duisburg-Essen sind beispielsweise weiblich. Für das Lehramtsstudium für Gesamtschulen und Gymnasien liegt der Frauenanteil dann nur noch bei 58 Prozent.
Welche Auswirkungen aber hat dieser niedrige Männeranteil an Grundschulen auf die Kinder selbst? Brauchen Kinder eine männliche Bezugsperson in der Schule?
„Ja“, findet die Mülheimer Psychologin Britta Kastell. „Kinder brauchen echte Modelle, an die sie sich halten können. Vor allem in der heutigen Zeit, in der es nicht in jeder Familie eine männliche Identifikationsfigur gibt.“
„Ein Mann muss nicht immer stark wie Superman sein“
Diese Modelle, so Kastell, seien entscheidend für die eigene Entwicklung. Nur durch echte Modelle nämlich könne ein Kind lebensnah beobachten und das Verhalten der Bezugsperson in seine eigenen Verhaltensmuster mit einbeziehen. Dass Kinder solche Modelle brauchen, findet auch der gelernte Erzieher Tim Seiferts: „Wenn Kinder keinen echten Männern begegnen, suchen sie sich ihre Vorbilder in den Medien.“ Und genau darin sieht Seiferts die eigentliche Gefahr, denn: „ein Mann muss nicht immer stark wie Superman sein“, so sagt er. Nur solche Klischee sind es eben, die das Männerbild im Fernsehen bestimmen.
Gefahr der Verweiblichung?
Andere Experten warnen davor, dass Jungen mangels männlicher Bezugspersonen verweiblichen könnten Diese Auffassung vertritt etwa der Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bergmann. „Jungen heute werden mehr und mehr mit weiblichem Verständnis in Watte gepackt.“
Es scheint offensichtlich: Männliches Lehrpersonal an Grundschulen wird dringend benötigt. Aber wie kann man junge Männer für diesen beruf begeistern?
„Der Frauenförderplan sollte an Grundschulen gerade umgekehrt sein.“
„Die Kompetenz des Bewerbers ist bei der Einstellung entscheidend“, betont Sigrid Graf, Rektorin an der städtischen Gemeinschaftsgrundschule an der Filchnerstraße. Und eben nicht das Geschlecht.
Ihre Kollegin Ulrike Lueg, Rektorin an der städtischen Gemeinschaftsgrundschule Zunftmeisterstraße, stimmt ihr hier eindeutig zu, lässt aber durchblicken: „Der Frauenförderplan sollte an Grundschulen gerade umgekehrt sein.“ Das zuständige Schulministerium in NRW selbst fühlt sich jedoch nicht zur Handlung berufen. „Wir initiieren keine besonderen Veranstaltungen für Männer. In Deutschland herrscht immer noch freie Berufswahl“, heißt es dort auf die Anfrage der NRZ.
Tim Seiferts arbeitet nun bei der Post
Aus dieser freien Berufswahl heraus hat sich Erzieher Tim Seiferts nun für einen anderen Weg entschieden. Aus bekanntem Grund - finanzielle Sicherheit. Seiferts arbeitet nun bei der Post. Und genau da will er auch bleiben. Auch wenn er, wie er selbst sagt, „die Kleinen doch sehr vermisst.“
Und man kann sich denken: Auch die Kleinen vermissen vermutlich Erzieher und Lehrer wie ihn. Sein Beispiel sollte keine Schule machen.