Mülheim. Es ist eine junge und stilistisch sehr vielfältige Truppe: Sieben Stücke von acht Autoren sind für den 39. Mülheimer Dramatikerpreis nominiert. Alte Bekannte sind darunter sowie zwei Debütanten, die alle einen sehr eigenen Blick auf den gesellschaftlichen Status quo richten.

Statistisches stellt Christine Wahl, die Sprecherin des aktuellen Stücke-Auswahlgremiums, an den Anfang: 38 Jahre, berichtet sie, ist das Durchschnittsalter der Autoren, mit deren Texten sich die Jurymitglieder befassten. Der Mülheimer „Prototyp 2014“ sei damit „knapp dem Jungdramatiker-Alter entwachsen“. Das soll wohl heißen: Nachwuchssorgen gibt es nicht. Doch auch sonst passt dieser einordnende Blick auf das große Ganze: Den nehmen alle, für den 39. Mülheimer Dramatikerpreis Nominierten ein: Ihre sieben „Stücke“, die während des Festivals vom 17. Mai bis 7. Juni zu sehen sind, wurde am gestrigen Freitag im Theater an der Ruhr vorgestellt.

Einen richtigen Schwerpunkt – so wie im vergangenen Jahr, als „sexueller Missbrauch“ oft thematisiert wurde – gibt es 2014 nicht. Dennoch hat Christine Wahl ein verbindendes Element zwischen allen Texten ausgemacht: das Hinterfragen des „gesellschaftlichen Status quo“. So bereit gefächert wie das, was sich unter dem Begriff „Gesellschaft“ zusammenfassen lässt, ist dann auch der Blick der Dramatiker auf sie.

Kindeserinnerungen an Ostdeutschland

99 Stücke wurden insgesamt gelesen und gesichtet. Sieben von ihnen wählte das fünfköpfige Gremium aus. Alte Bekannte sind ebenso darunter wie zwei neue Gesichter, die beide noch keine 30 Jahre alt sind.

Sein Stücke-Debüt gibt etwa Ferdinand Schmalz („Am Beispiel der Butter“), der es laut Christina Wahl schafft, anhand von fetthaltigen Molkerei-Erzeugnissen „die ganze Welt zu erklären“. Ebenfalls erstmals nominiert ist Wolfram Höll („Und dann“), der ostdeutsche Geschichte in kindlichen Erinnerungsbildern entstehen lässt und die Jury durch seine besondere Sprachpartitur überzeugte.

Helgard Haug und Daniel Wetzel – bekannt unter dem Label „Rimini Protokoll“ und Dramatiker-Preisträger 2007 – deklinieren in „Qualitätskontrolle“ gesellschaftliche Normen anhand einer konkreten Biografie durch: Ihre Hauptdarstellerin ist vom Hals abwärts gelähmt.

Lieblingsthemen: Beziehung, Gefühle und Einfühlung

Den bösen Kapitalismus von der Bank ins Reihenhaus holt Philipp Löhle, der 2012 den Publikumspreis gewann: In „Du (Norman)“ lässt er einen passiv-trägen Hauptdarsteller zur permanenten Kosten-Nutzen-Rechnung antreten.

Mit dem Unvollkommenen und dem im Gesagten unerwähnt Mitschwingenden arbeitet Laura de Weck im „Archiv der Unvollständigkeiten“. Währenddessen macht Rebekka Kricheldorf „Alltag & Ekstase“ zur Farce. Sie lässt zwei Generationen aufeinandertreffen und stellt so die Frage nach dem idealen Gesellschaftsmodell.

Abermals ins Rennen geht René Pollesch: In „Gasoline Bill“ arbeitet er seine Lieblingsthemen ab: Beziehung, Gefühle und Einfühlung. Die „Gesellschaft in einem theoretischen Überbau“ nennt es Christine Wahl und „Theorieslapstick“.