Mülheim.

„Jelinek-Texte sind etwas vollkommen anderes, als selbst geschriebene Stücke mit eigenen Sätzen“, sagt eine Darstellerin mit dem festen Willen im Blick, das „Monstrum“ zu packen. Wer die kraftvollen Wort-Kaskaden und Text-Konvolute der Literatur-Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kennt, der weiß, dass daraus erst einmal eine spielbare Fassung gemacht werden muss. Mutig hat sich Regisseur Jörg Fürst mit zehn Darstellern des Spätlese-Ensembles, jetzt Volxbühne, an das Unterfangen „Winterreise“ herangewagt.

Dass eine Amateur-Bühne überhaupt die Rechte vom Verlag erhalten hat, ist nur durch das Theater an der Ruhr möglich geworden, erläutert Sven Schlötcke, Geschäftsführer Theater an der Ruhr. „Ein Versuch, der von großer Bereitschaft des Ensembles zur Veränderung getragen ist, als Impuls zu nehmen, andere Sachen auszuprobieren mit einem Text, der schon geschrieben ist.“ Andererseits solle aber die Möglichkeit erhalten bleiben, künftig wieder in einer anderen Arbeitsweise selbst Stücke zu entwickeln.

Schöner, starker Text

Bei der Wahl zwischen der Winterreise und einem eigenen Stück habe sich die große Mehrheit des Ensembles für Jelinek entschieden, „weil der Text so schön und so stark ist“, sagt Fürst. Und weil er auch die nötige Distanz zum Thema habe, um das es geht: Zeit, Vergänglichkeit und Zukunft. Entlang von Franz Schuberts Lieder-Zyklus „Winterreise“ verwebt Jelinek Biografisches, darunter auch die Demenz-Erkrankung ihres Vaters, mit Gesellschaftlichem. Dafür gab’s 2011 den Mülheimer Dramatikerpreis. Seit Dezember proben die Darsteller fünf Mal in der Woche. „Es klappt überraschend gut“, sagt Renate Grimaldi, die für die Produktion zuständig ist und selbst mitspielt. „Der Text nimmt die scharfen Emotionen und trifft das Eigentliche.“ Es sei letztlich eine Reise mit sich selbst: „Das macht es so spannend.“ Sicher sei die Vorlage schwierig und es hake hier und da, „aber, das, was wir machen, entspricht den Textanforderungen“.

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Seit August 2013 ist das Senioren-Ensemble unter dem Dach des Theater an der Ruhr, hat aber seine Spielstätte nach wie vor an der Adolfstraße 89a. Der Altersdurchschnitt bei den Darstellern liegt bei 75 Jahren. Bei der demografischen Entwicklung und im Hinblick auf Mülheim mit der zweitältesten Bevölkerung Deutschlands soll der Dialog zwischen den Generationen in der Stadt künftig noch mehr befördert werden. Ziel ist es, eine Volxbühne „mit einem generationsübergreifenden Ensemble zu entwickeln“. Mit dem bestehenden Ensemble und neuen Mitwirkenden. Den Transfer vom Theater Mülheimer Spätlese zum Diskursprojekt „Volxbühne“ geht man mit großer Visionskraft an.