Mülheim. .
Die 38. Mülheimer Theatertage endeten, wie sie angefangen hatten: Mit den acht Stücken eines in mehrerer Hinsicht rekordverdächtigen Jahrgangs, mit einer Jury-Debatte ohne Zoff und Zaudern, die sachlich, eloquent und mit humoristischen Einwürfen ein interessiertes Publikum bis nach Mitternacht im Theatersaal am Raffelberg auf ihren Sitzen hielt. Und sie endeten mit einem anrührenden Abschied für Moderator Gerhard Jörder.
Im Finale standen sich zwei Dramatikerinnen gegenüber, deren äußerlichen Unterschiede nicht größer sein können: Die Grande Dame der Dramatik, Elfriede Jelinek (66), wurde von der jungen Schweizer Autorin Katja Brunner (22) in den Schatten gestellt. Die angesagte Newcomerin war überdies mit ihrem Erstling nach Mülheim eingeladen, den sie mit nur 18 Jahren geschrieben hatte: „Von den Beinen zu kurz“, ein beklemmendes Inzest-Drama aus der Nahaufnahme.
Nachdem Kulturredakteur Tobias Becker und die Direktorin der Hamburger Theaterakademie, Sabina Dhein, für Brunner votiert hatten, gab die Schauspielerin Wiebke Puls den Ausschlag dafür, dass die Mülheim-Debütantin den mit 15.000 € dotierten Dramatiker-Preis erhielt. Das Stück sei alptraumhaft mit einer ins Bizarre reichenden Fantasie gemacht, so Puls. Auf dünnem Eis, wie jemand, der unten im See liege. „Katja Brunner hat mich total gepackt, ich will unbedingt mehr von ihr hören“, sagte Puls: „Sie ist so skrupellos und doch so feinfühlig.“ So gingen die Stücke nicht nur mit einer mutigen Jury-Entscheidung, sondern auch mit einer kleinen Sensation nachts um halb eins zu Ende.
Eine Bereicherung für Milan Peschel
Locker vom Hocker berlinerte der Schauspieler und Jury-Mitglied Milan Peschel drauflos, heiterte die Debatte damit auf: So oft wie in Mülheim sei er die letzten drei Jahre nicht im Theater gewesen, gab Peschel freimütig zu: „Bei meinen spärlichen Kontakten zu Gegenwartsautoren war das hier für mich eine Bereicherung, eine echte Entdeckung.“ Und auf die Frage von Moderator Gerhard Jörder, ob er Elfriede Jelinek kenne, konterte Peschel: „Icke kenne eigentlich nur Fritz Kater und Dostojewski.“
Auch der Publikumspreis ging mit eindeutiger Mehrheit an eine Mülheim-Debütantin: Ihn erhält Marianna Salzmann (27) für ihre jüdische Familiengeschichte über drei Generationen „Muttersprache Mameloschn“. Den Kinder-Stücke-Preis (10.000 €) gewann Thilo Reffert. Alle drei Preisträger werden in einer Feierstunde voraussichtlich Mitte Juni geehrt.
Abschied von Gerhard Jörder
Nach elf Jahren, 80 Uraufführungen und über 120 Podiumsdiskussionen verabschiedete sich Moderator Gerhard Jörder von den Mülheimer Theatertagen. Festival-Leiter Udo Balzer-Reher fand mit seinem trockenen Humor die passenden Worte. Am 17. Mai 2003 hatte der Theaterkritiker das erste Publikumsgespräch moderiert. „Damals hieß unsere Stadt bei Gerhard Jörder noch ,Müllheim’, aber das nahm ihm keiner so recht übel“, schmunzelte Balzer-Reher.
Er habe schweigende Autoren und Regisseure zum Reden gebracht. „Und selbst eine Schauspielerin, die mit einem Pitbull bewaffnet auf ihn zustürzte, konnte er unter Kontrolle bringen.“ Gerhard Jörder habe die Mülheimer Theatertage inhaltlich und atmosphärisch geprägt, dem das Festival viel zu verdanken habe. Als Dankeschön überreichte er ihm die Goldene Ehrenkarte über das Jahr 2017 hinaus.
„Ja, ich werde kommen, als Zuschauer bin ich gerne dabei“, sagte Jörder sichtlich gerührt. Solche Publikumsgespräche liebe er, wolle sie gerne stiften. Sein großer Dank ging ans Publikum, das bis in die nächtliche Geisterstunde ausgeharrt habe, und ans gesamte Stücke-Festival-Team: „Ich bin hier immer perfekt betreut worden - es ist diese ganz besondere Mülheimer Gastfreundschaft, die auch die anreisenden Autoren und Ensembles seit jeher so rühmen.“