Mülheim. . Mülheims Industrie befindet sich im Wandel. Großen Unternehmen stehen weitere Veränderungen bevor. Restrukturierungspläne greifen um sich. Mülheimer Betriebsräte hoffen, durch anstehende Betriebsratswahlen ein starkes Mandat für schwierige Verhandlungen zu bekommen.
Mülheims großen Industrieunternehmen stehen in den kommenden Jahren mehr oder minder schwerwiegende strukturelle Veränderungen ins Haus. Auch die Sorge um Arbeitsplätze und die Wettbewerbsfähigkeit treibt die jeweiligen Betriebsräte um. So werben sie eindringlich um eine hohe Wahlbeteiligung bei den bevorstehenden Betriebsratswahlen, um mit Rückenwind in anstehende Verhandlungsrunden mit der Arbeitgeberseite gehen zu können.
Beispiel Vallourec: Gerade erst hat das Unternehmen die Schlankheitskur mit dem Namen „Stream Line“ hinter sich, da steht den Beschäftigten neues Ungemach ins Haus. Die Unternehmensberatung Roland Berger hat das Werk noch einmal durchleuchtet, „schon wieder wird eine Neuorganisation angedroht“, so Betriebsratsvorsitzender Gerhard Oelschlegel. Verhandlungen darüber mit dem Arbeitgeber hat der Betriebsrat bis dato abgelehnt.
„Wir brauchen ein starkes Votum der Belegschaft“
Er will dies erst mit neu gewählter Mannschaft tun. „Wir brauchen ein starkes Votum der Belegschaft“, sagt Oelschlegel. Je höher die Wahlbeteiligung, desto stärker sei das Mandat für die schwierigen Verhandlungen, in denen es „mit Sicherheit wieder um Stellenabbau geht. Schließlich geht es dem Unternehmen um Kostenreduzierung – und Kosten haben in der Regel einen Kopf und zwei Beine.“ Der Betriebsrat will kämpfen für eine Standort-Sicherung.
Zur Situation bei Europipe und Presta Steertec
Zur Situation bei Europipe sagte Volker Becker-Nühlen als Ortsbevollmächtigter der IG Metall, dass durch den Großauftrag für das Pipeline-Projekt „South Stream“ wieder eine Perspektive für die Beschäftigung da sei.
Ende März, so Becker-Nühlen, werde Europipe nach einem Jahr mit Kurzarbeit wieder voll produzieren können. „South Stream“ sichere die Beschäftigung für mindestens die zwölf folgenden Monate.
Auch dem Automobilzulieferer Presta Steertec stehen laut IG Metall stürmische Zeiten bevor. Wie in der Branche derzeit üblich, herrsche großer Kostendruck, so Becker-Nühlen.
Im Saarner Werk, das Lenkungen fertigt, lässt ein Auftrag durch BMW auf sich warten, so dass laut Becker-Nühlen „vielleicht eine Delle von zwei Jahren“ zu überbrücken sein wird. Nach den Betriebsratswahlen soll es dazu Gespräche geben.
Auch Siemens, mit 4800 Beschäftigten Mülheims größter Industrie-Arbeitgeber, stehen Restrukturierungen mit dem Ziel der Kosteneinsparung ins Haus. Für den Standort ist entscheidend, welche Zukunft der Konzern für das Turbinen-Geschäft findet. Mülheim braucht Entwicklungspotenziale fernab der Großturbinen.
MGB geht in die Einzelblechfertigung
Bei Salzgitter Mannesmann Grobblech ist derweil das Restrukturierungsprogramm „Salzgitter 2015“ schon angelaufen. MGB verliert, immerhin ohne betriebsbedingte Kündigungen, 38 Stammarbeitsplätze; dazu ist die Zahl an Leiharbeitern reduziert worden. Betriebsratsvorsitzender Wolfgang Lorenz wertet es als positives Signal, dass die Konzernmutter versucht, dem Mülheimer Werk die Abhängigkeit von Großaufträgen zu nehmen. MGB geht nun auch in die Einzelblechfertigung. Aufträge über 100.000 Tonnen kamen aus dem Schwesterunternehmen in Ilsenburg an die Ruhr. Den Fuß in diesen Nischenmarkt zu bekommen, ist laut Lorenz ein Schritt zur Standortsicherung. Die Einzelblechfertigung stelle aber jeden Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. So wird auch der MGB-Betriebsrat in den nächsten Jahren nicht beschäftigungslos sein.
11.000 Beschäftigte aufgerufen zur Betriebsratswahl
Die IG Metall ruft rund 11.000 Beschäftigte in der Eisen-, Stahl-, Metall- und Elektroindustrie sowie im Metallhandwerk zur Teilnahme an den Betriebsratswahlen auf. Sie laufen vom 1. März bis zum 31. Mai.
Auftrag: „Gute Arbeit“ durchsetzen
„Die Beschäftigungssicherung ist von außerordentlich großer Bedeutung“, so der Oberbevollmächtigte Volker Becker-Nühlen mit Blick auf Themen, mit denen sich die neugewählten Betriebsräte in den kommenden vier Jahren auseinanderzusetzen haben. Der Erhalt und Ausbau industrieller Arbeitsplätze, die Ausrichtung der Industriepolitik, die Energiewende, die strategische Ausrichtung einzelner Unternehmen – alles laut IG Metall bedeutende Themen. Daneben will die IG Metall über ihre Betriebsräte Themen voranbringen, die Mitglieder per Umfrage als Auftrag zur Gestaltung „guter Arbeit“ formuliert haben.
Siemens-Betriebsratsvorsitzender Pietro Bazzoli ruft zu einer starken Wahlbeteiligung auf, „das zeigt der Arbeitgeberseite, dass die Belegschaft hinter den Betriebsräten steht“. Sein Kollege bei Vallourec, Gerhard Oelschlegel, stellt derweil erfreut gestiegenes Interesse an der Betriebsratsarbeit fest. Bei Vallourec kandidieren 51 Mitarbeiter um 15 Posten. „Wir brauchen auch ein Verjüngung, da bin ich froh, dass wir auch viele junge Kandidaten haben, auch Akademiker aus dem Angestelltenbereich – das ist nicht selbstverständlich.“