Mülheim. .
Sie lernen an einer Europaschule, sie haben Berufspraktika in England oder Frankreich gemacht, sie haben am Comenius-Projekt teilgenommen und zahlreiche Auslandsfahrten zu Partnerschulen in England, Frankreich oder in die Niederlande unternommen. Europa bedeutet für sie das Zusammenleben verschiedener Kulturen in einer toleranten demokratischen Gesellschaft. „Und dennoch“, sagt Dana Dost von der Europaschule Realschule Broich, „würde uns jemand fragen, woher wir kommen, würde uns als Letztes einfallen zu sagen: Aus Europa oder ich bin Europäer“.
90 Minuten diskutierten gestern Schüler der Realschule Broich, des Gymnasiums Heißen, der Gustav-Heinemann-Gesamtschule und des Berufskollegs Lehnerstraße mit Fachleuten über „Leben und Arbeiten in Europa“. Die Mülheimer Wirtschaftsförderung und das lokale Büro für Städtepartnerschaften hatten dazu geladen. Rund 400 Schüler von den drei Mülheimer Europaschulen, das Berufskolleg befindet sich im Bewerbungsverfahren, nahmen daran teil – und stellten kritische Fragen, wie: Warum sollte ich Deutschland verlassen und in einem anderen Land mir Arbeit suchen, wo vielleicht vor meiner Haustür Mülltonnen brennen, wo die Arbeitslosigkeit wächst und das Land vielleicht pleite geht?
Europäischer Gedanke steht dem Heimatgedanken nicht entgegen
Die Experten aus Politik, Wirtschaft und EU-Vertretungen betonten dennoch die Chancen, die Auslandsaufenthalte böten, dabei gehe es nicht nur um Sprache, sondern um Qualifizierung schlechthin, von der man in der Regel im eigenen Land wiederum profitiere, wie Ulrich Turck betonte. Generell gelte für ganz Europa: „Bildung ist der entscheidende Schlüssel für alle Jugendlichen“, so Dr. Marc Jan Eumann.
Dr. Stephan Koppelmann warnte davor, nur das von Medien verbreitete Bild von Europa zu sehen. Das sei immer nur ein Ausschnitt, der oft Bedrohliches beinhalte. Drumherum gebe es viel Gutes.
Untersuchungen zeigen, dass sich immerhin 60 Prozent der Deutschen als Deutsche und Europäer fühlten – ein guter Wert, so sehen es die Fachleute. Wobei OB Dagmar Mühlenfeld betonte, dass der europäische Gedanke keineswegs dem Heimatgedanken entgegenstehe: Beides lasse sich verbinden – Broich und Brüssel.
Europäisches Bewusstsein fördern
Was könnte Schule leisten, um ein europäisches Bewusstsein noch stärker zu fördern? Die Frage der Schüler drehten die Vertreter des Podiums um: Sagt Ihr uns, was Ihr für sinnvoll und wünschenswert haltet und tragt es an uns heran! Die OB lud die Jugendlichen ein, an internationalen Kongressen in Mülheim teilzunehmen, um Europa noch besser verstehen zu lernen. Koppelmann legte den Schülern das Eures-Programm ans Herz, wo täglich europaweit Ausbildungs- und Stellenangebote abgefragt werden können. „Wir wollen keinen zu etwas drängen, aber auf die Chancen hinweisen, die Europa bietet.“
Die Einwanderung von Rumänen und Bulgaren sprachen die Schüler an und die damit entstehenden Probleme für die Städte. Das seien klassische Armutsflüchtlinge, sagt Walter Leitermann und wünschte, dass sich die Europäische Kommission hier sehr wohl mal in die Kommunen einmische und Hilfe anbiete. Ein Einwanderungsgesetz wünschte sich OB Mühlenfeld und dass Migranten, die länger bleiben, auch an kommunalen Entscheidungsprozessen teilnehmen können. Eine Bitte richtete das Plenum an die Schüler: Nehmt Europawahlen ernst!
Die Diskussionsteilnehmer:
Dagmar Mühlenfeld, OB und Vizepräsidentin der Deutschen Sektion im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE).
Walter Leitermann, Leiter des Europabüros des Deutschen Städtetages in Brüssel.
Dr. Marc Jan Eumann, Staatssekretär im NRW Europaministerium.
Ulrich Turck, Geschäftsführer der Hans Turck GmbH und Co. KG mit Sitz in Mülheim und weltweit über 3000 Mitarbeitern.
Dr. Stephan Koppelberg, Leiter der Regionalvertretung der Europäischen Kommission in Bonn.
Die Schüler: Dana Dost, Realschule Broich; Moritz Fries, Gustav-Heinemann-Gesamtschule und Kahlil Kassem, Berufskolleg Lehnerstraße.
Andreas Heinrich, Moderator und Leiter WAZ-Lokalredaktion.