Mülheim. .
Sie helfen in der Küche und bei der Reinigung sozialer Einrichtungen, Senioren beim Einsteigen in Bus und Bahn, sie wirken als Helfer im gewerblichen Bereich des Diakoniewerks, sie kümmern sich um Menschen, die Betreuung brauchen: In Mülheim sind 113 Menschen, denen eine lange Zeit der Arbeitslosigkeit mehr und mehr zur Demütigung geworden war, für die Dauer von maximal drei Jahren in der Bürgerarbeit beschäftigt. Eine Chance oder nur ein weiteres Abstellgleis für Menschen, die lange schon abgekoppelt sind vom ersten Arbeitsmarkt?
Die Bürgerarbeit ist ein Modellprojekt des Bundes, für das sich die Mülheimer Sozialagentur 2010 erfolgreich beworben hat. Gestartet ist es im Mai 2011, gefördert werden aktuell besagte 113 Stellen zusätzlicher, gemeinnütziger Arbeit bei acht Mülheimer Arbeitgebern, darunter etwa das Diakoniewerk Arbeit & Kultur, die Awo, die Pia oder die MVG. Zwischen 20 und 30 Stunden pro Woche sind die Bürgerarbeiter für maximal drei Jahre beschäftigt, ihr an geltenden Tarifen angelehnter Lohn wird hauptsächlich durch öffentliche Gelder finanziert, einen Teil tragen auch die Arbeitgeber.
Zurück in eine stabile Tagesstruktur
Heike Gnilka, bei der Sozialagentur Bereichsleiterin für das Fallmanagement in Sachen Aktivierung und berufliche Integration, gibt als Ziel aus, dass die Bürgerarbeit nicht nur der Aktivierung von Langzeitarbeitslosen mit schwerwiegenden Vermittlungshemmnissen dienen soll, sondern am Ende günstigstenfalls eine Vermittlung an den ersten Arbeitsmarkt möglich werden soll. Dafür soll zum Ende der Bürgerarbeit für jeden Teilnehmer einzeln intensiv geschaut werden, zu was er nach drei Jahren durchgehender Beschäftigung befähigt sein könnte. „Das Projekt“, glaubt Birgit Wiese aus der Maßnahmenplanung der Sozialagentur, „schafft für Menschen, die sonst keine Perspektive auf dem ersten Arbeitsmarkt hatten, wieder Perspektiven.“ Allein dadurch, dass sie ihr Leistungsvermögen drei Jahre am Stück mal wieder unter Beweis stellen könnten.
Wer dabei Probleme habe, etwa durch Konflikte mit der Kinderbetreuung, mit Schulden, gesundheitlichen Einschränkungen oder anderem, der werde, soweit möglich, durch ein Coaching am Arbeitsplatz und das Netzwerk städtischer Einrichtungen unterstützt. Bürgerarbeit soll Langzeitarbeitslose den Weg zurück in eine stabile Tagesstruktur ermöglichen. Nach drei Jahren, so die Erwartung von Heike Gnilka, „bewerben und präsentieren sie sich mit einem ganz anderen Bild. Sie sind in diesen drei Jahren schließlich, wenn auch in einer Nische, ganz normale Arbeitnehmer, die was leisten. Das schafft auch neues Selbstbewusstsein.“
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"Sicherheit und Qualifikation"
Mit dem Coaching, den Fallberatern und den Bürgerarbeitern soll vor Ende der Projektphase ein „ernsthafter Bewerbungsprozess“ für den ersten Arbeitsmarkt in Gang gesetzt werden. „Vielleicht müssen wir bei dem einen oder anderen aber auch noch eine Qualifizierung draufsatteln“, so Wiese.
Bei den Teilnehmern kommt die Bürgerarbeit offenbar gut an. In zwei Jahren haben laut Sozialagentur gerade mal acht von ihnen das Projekt abgebrochen.
Ulrich Schreyer, Geschäftsführer beim Diakoniewerk Arbeit & Kultur und Arbeitgeber für 70 Bürgerarbeiter, kann das bestätigen. Mehr noch: „Der Motivationsgrad bei den Leuten ist immens hoch. 85 bis 90 % sind froh, nicht mehr zu Hause zu sitzen, für drei Jahre eine Perspektive zu haben, dazuzugehören.“ Awo-Geschäftsführer Lothar Fink befindet: Das Projekt sei „gut, weil es den Teilnehmern über eine lange Laufzeit Sicherheit und Qualifikation in einem festen Arbeitsprozess vermitteln kann“.
"Es liegen genügend Aufgaben brach"
Doch weder Träger noch Sozialagentur wagen eine Prognose, wie groß tatsächlich die Chance sein wird, wenn sich die Bürgerarbeiter später um Jobs am ersten Arbeitsmarkt bewerben werden. Schreyer bleibt skeptisch: „Unabhängig von der konjunkturellen Entwicklung werden sich die Vermittlungsaussichten wohl nicht verbessern, obwohl 90 % der Mitarbeiter bei uns das entsprechende Leistungsprofil haben.“ In der freien Wirtschaft seien die Stellen, die benötigt würden, in den vergangenen 30 Jahren nun mal wegrationalisiert worden.
Schreyer bleibt dabei, und seine Meinung stützt auch Awo-Geschäftsführer Fink: „Wir brauchen einen sozialen Arbeitsmarkt.“ Mit unbefristeten, staatlich finanzierten Stellen für die bundesweit drei Mio. Menschen, die in der Sockelarbeitslosigkeit festhängen. Beschäftigungsfelder für sie gebe es zahlreich. „Es liegen doch genügend gesellschaftliche Aufgaben brach“, so Schreyer mit Blick etwa auf Müll auf öffentlichem Grund, auf die Beseitigung von Graffiti oder Betreuung und Service für alleinstehende Senioren mit kleinem Geldbeutel.