Mülheim. . „Ich habe gequalmt wie ein Hochofen“, sagt Günther Böllert. Trotzdem ist er 100 Jahre alt geworden. Am 16. April 1913 kam er in Duisburg zur Welt, wo die Familie eine traditionsreiche Brauerei besaß. Und er ist noch fit, zur Not kann er sogar noch ohne Brille lesen. In seinem Leben hat Böllert so einiges erlitten.
Es wird nicht viele Menschen geben wie Günther Böllert, die seit 89 Jahren rauchen und an ihrem 100. Geburtstag „zur Not“ noch ohne Brille lesen können. Am 16. April 1913 kam er zur Welt – nicht in Mülheim, wo er seit langem lebt, sondern in Duisburg, wo die Familie Böllert eine traditionsreiche Brauerei besaß. Günther Böllert, der gerne aus seinem Leben erzählt, langsam, geordnet und überlegt, scheint kein Musterknabe gewesen zu sein. Mit elf, als Schüler, habe er begonnen zu rauchen („Ich habe gequalmt wie ein Hochofen“), bis heute konsumiert er nahezu eine Schachtel pro Tag.
Kriegsgefangener in England
Vom Realgymnasium, wo es schon hakte, wechselte Günther aufs Adolfinum in Moers, doch die Schullaufbahn zog sich lange hin: „Ich bin insgesamt vier Mal sitzen geblieben.“ Nach der Höheren Handelsschule ging der junge Mann bei einem Eisengroßhändler in die kaufmännische Lehre, wechselte später zu Mannesmann, bis der Zweite Weltkrieg sein Leben, wie das aller anderen seiner Generation, aus der Bahn brachte.
Böllert wurde 1939 zur Ausbildung bei der Wehrmacht eingezogen, die er aufgrund einer Sehnenscheidenentzündung im Fuß („vom vielen Marschieren“) jedoch abgebrochen habe: „Ein Glücksfall“, sagt der Hundertjährige, „viele Kameraden sind schon im Polenfeldzug gestorben.“ Ihn selber habe es später nach Frankreich verschlagen, bis zur Atlantikküste, wo er die Invasion der Alliierten miterlebte, angeschossen wurde, als Kriegsgefangener nach England kam.
„Dann wurde ich nach Amerika verschifft, die brauchten Arbeitskräfte in der Landwirtschaft.“ Böllert pflückte Gurken, erntete Tomaten auf diversen Farmen, arbeitete in einer Fabrik für Heinz Ketchup, lavierte sich durch, lernte Leute kennen, machte unter der Hand Geschäfte, wurde „für einen Dollar pro Kopf an die Engländer verkauft“... Weihnachten 1948 war er wieder zu Hause. Seine Lehrfirma stellte ihn wieder ein, seine Ehe, aus der er einen Sohn hat, überstand die Kriegswirren nicht.
"Ich habe viel erlebt"
Mitte der Fünfzigerjahre heiratete Böllert erneut, zog später an den Falkenweg in Speldorf. Hier wuchsen zwei weitere Kinder auf. Günther Böllert wohnt bis heute dort, zwei Katzen leisten ihm Gesellschaft. Er überstand Krebsoperationen in den Neunzigerjahren und sagt mit Bedauern: „Bis vor drei Jahren habe ich noch ein bisschen im Garten gearbeitet. Das ist leider nicht mehr möglich.“
Doch er liest „mindestens“ ein Buch pro Woche. Letztens studierte er die Diplom-Arbeit seiner Enkelin Jana im Fach Pädagogik, die er „sehr interessant“ fand, sie befasst sich mit türkischen Migranten in Deutschland. „Ich habe viel erlebt“, sagt Günther Böllert, „und muss dem Allmächtigen danken. Es ist mir immer gut gegangen.“