Mülheim. . Mülheims Sozialverwaltung verwehrt sich gegen den Verdacht, einen großen Teil der von ihr betreuten Arbeitslosen in wenig erfolgversprechende Maßnahmen zu stecken und damit die Arbeitslosenstatistik zu schönen.
Mülheims Sozialverwaltung verwehrt sich gegen den Verdacht, einen großen Teil der von ihr betreuten Arbeitslosen in wenig erfolgversprechende Maßnahmen zu stecken und damit die Arbeitslosenstatistik zu schönen. Irritationen hatte es jüngst gegeben, als die neue Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit, Christiane Fern, in ihrer ersten Jahrespressekonferenz zumindest in Frage gestellt hatte, ob das Mülheimer Arbeitsmarktprogramm angemessen auf nachhaltigen Erfolg in der Jobvermittlung ausgerichtet sei.
Rückblende: 8. Januar. Bei der Präsentation der Mülheimer Arbeitsmarktdaten für das Jahr 2012 hatte Fern darauf hingewiesen, dass Mülheim im Vergleich zu Oberhausen mit Stand Dezember viel mehr erwerbsfähige Menschen aus dem Hartz-IV-Bereich in Maßnahmen steckt. So setze die in städtischer Eigenregie organisierte Mülheimer Sozialagentur viel stärker auf Ein-Euro-Jobs und sogenannte Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung als Oberhausen, wo die Agentur für Arbeit als Partnerin der Stadt in der Hartz-IV-Behörde noch Verantwortung trägt.
Die nachhaltige Wirkung dieser Maßnahmen aber, so Fern, sei in Frage zu stellen, für Ein-Euro-Jobs belegten mittlerweile zahlreiche Studien, dass sie nicht als Sprungbrett zum ersten Arbeitsmarkt taugten. Relativ kurz angelegte Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung brächten auch wenig. Erfolgversprechend seien viel mehr Weiterbildungsmaßnahmen. Davon aber habe es im Dezember in Mülheim nur 77, in Oberhausen dagegen aber 294 gegeben.
Zählt in Mülheim eher Masse statt Klasse?
27,6 % der Erwerbsfähigen, die Mülheims Sozialagentur betreut, haben im Dezember an Maßnahmen des Arbeitsmarktprogramms teilgenommen und wurden so offiziell nicht als arbeitslos betrachtet. In Oberhausen betrug die Quote nur 18 %. Zählt für die Mülheimer Hartz-IV-Behörde nun also Masse statt Klasse?
Sozialdezernent Ulrich Ernst, Sozialamtsleiter Klaus Konietzka und Sozialagentur-Leiter Mathias Spies widersprechen vehement – und belegen mit Daten, dass der starke Rückgang der Arbeitslosenzahlen im Hartz-IV-Bereich im Jahr 2012 keineswegs „erkauft“ worden ist dadurch, dass mehr Menschen in Maßnahmen gesteckt worden sind. So lässt sich zeigen, dass die offiziellen Arbeitslosenzahlen und die Zahl der Unterbeschäftigten (hier stecken auch Ein-Euro-Jobber und Maßnahmen-Teilnehmer drin) im gleichen Maß gesunken sind. 2012 sei es gelungen, dass mehr Langzeitarbeitslose tatsächlich wieder erwerbstätig geworden seien.
Mülheim erfolgreicher als Oberhausen
„Wir machen nicht nur Masse, sondern Qualität“, glaubt Sozialagentur-Leiter Matthias Spies, dass seine Hartz-IV-Behörde mit ihrem jährlich neu aufgelegten Arbeitsmarktprogramm durchaus erfolgreich unterwegs ist.
Tatsächlich stellt die Statistik der Bundesagentur für Arbeit Mülheim ein vergleichsweise gutes Zeugnis aus. Aus einer der WAZ-Gruppe aktuell zur Verfügung gestellten Auswertung ist ersichtlich, dass Mülheim sowohl mit seinen Ein-Euro-Jobs als auch mit seinen „Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ erfolgreicher ist als das Jobcenter in Oberhausen, bei den letztgenannten Maßnahmen gar reichlich besser als der NRW-Durchschnitt. So ist etwa für die Mülheimer „Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung“ festzustellen, dass rund jeder dritte Teilnehmer sechs Monate nach Beendigung der jeweiligen Maßnahme sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist – das misst die sogenannte Nachhaltigkeitsquote.
Ein-Euro-Jobs sollen Menschen an Arbeit heranführen
Spies betont, dass seine Behörde Maßnahmen bewusst langfristig anlege, um Arbeitslosen maßgeschneidert tatsächlich eine Chance zur Wiedereingliederung in den ersten Arbeitsmarkt zu eröffnen. Mit Trägern, die die Maßnahmen im Auftrag durchführen, sind Erfolgsboni vereinbart, wenn diese erfolgreich in Arbeit vermitteln. Eine Nachhaltigkeitsquote von 10,5 % bei Ein-Euro-Jobs sei zwar nicht sonderlich hoch, doch hätten Ein-Euro-Jobs oftmals vor allem die Funktion, Menschen mit großen Vermittlungshemmnissen überhaupt wieder heranzuführen an Arbeit.
„Dem Gesetz nach bin ich verpflichtet, die Statistik zu interpretieren“, nimmt die Geschäftsführerin der Agentur für Arbeit, Christiane Fern, Stellung zu ihren Äußerungen von Januar. Gleichzeitig versuchte sie nun im WAZ-Gespräch, die Wogen zu glätten und für eine gute Zusammenarbeit ihrer Arbeitsverwaltung mit der Optionskommune zu werben.
Viele Fachkräfte gehen in den Ruhestand
„Mir geht es nicht um Konkurrenz, sondern um ein Miteinander“, so Fern. Die Statistik zeige gleichwohl, dass Mülheim deutlich mehr auf Ein-Euro-Jobs und Maßnahmen zur Aktivierung und beruflichen Eingliederung denn auf Weiterbildung setze. Nur dieses habe sie festgestellt, „ohne dabei werten zu wollen, wie hoch die Nachhaltigkeit ist“. Doch verweist Fern darauf, dass das Bundesarbeitsministerium erwarte, dass die Arbeitsverwaltung künftig mit einem geringeren Etat auskommt. Da sei eine Konzentration auf Instrumente sinnvoll, die nicht nur heranführen an den ersten Arbeitsmarkt, sondern tatsächlich in einen regulären Job münden.
Fern sieht für die Agenturen eine große Herausforderung: Die Demografie sorge in den nächsten Jahren dafür, dass viele Fachkräfte in den Ruhestand gingen. „Da müssen Arbeits- und Sozialagentur gemeinsam eine Antwort haben – und für Ersatz sorgen aus unserem Kundenstamm. Wir sollten diese Lücken jetzt mit Qualifizierungsmaßnahmen schließen.“