Mülheim. . Das Bild vom Flaschensammler auf Großveranstaltungen und an belebten Plätzen gehört inzwischen wie selbstverständlich zu fast jeder Stadt. Die Umstände, unter denen diese Menschen arbeiten müssen, bleiben jedoch meist im Verborgenen. Awo-Mitarbeiter vermuten bandenähnliche Zustände unter den Pfandsammlern.
Samstagabend, eine kurze Beobachtung in der Mülheimer Innenstadt, die nachdenklich macht: Eine ältere Frau, durchaus gepflegt und mit sauber gescheiteltem Haar, wühlt in einer Mülltonne. Sie hat Tüten dabei, sucht nach Pfandflaschen, die sich zu Geld machen lassen. Sie sieht auch in der Lade einer Telefonzelle nach, hofft auf ein paar liegengebliebene Cents.
Geht es ihr so schlecht, wie es ausschaut? Braucht sie das Geld so dringend? „Ja, mir geht es nicht gut“, flüstert die Frau. Aber sie wolle ihr „bescheidenes, zurückgezogenes Leben einfach weiterleben“, sagt sie und wendet sich ab. Der Zeitung möchte sie nicht erzählen, warum sie leben muss, wie sie lebt.
Menschen sind auf das Pfand angewiesen
„Es gibt immer mehr Flaschensammler“, sagt Awo-Geschäftsführer Lothar Fink, als er die Geschichte hört, „und das zeigt eines ganz klar: Die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer.“ Einerseits gebe es offenbar Menschen, die problemlos Pfandflaschen in den Müll werfen. Andererseits gebe es Menschen, die auf das Pfand angewiesen sind, um den Lebensunterhalt aufzubessern.
Nicht jeder, der in die Mülltonne greift oder bei Großveranstaltungen auf die verwertbaren Glas- und Plastikabfälle anderer wartet, habe dies allerdings nötig, fügt Lothar Fink hinzu. „Man weiß nicht, ob das immer etwas mit Armut zu tun hat oder, ob sich da ein eigener Markt gebildet hat, der begründet ist in unserem speziellen Pfandsystem.“ Und der offenbar Blüten treibt: Fink berichtet von Gesprächen, die Awo-Mitarbeiter mit Insidern geführt haben, und davon, dass das Thema in der Szene „ein ganzes heißes Eisen“ sei. Die Reviere seien streng aufgeteilt und es habe sich eine ungute Konkurrenzsituation entwickelt. Was auch bedeuten könne: Wenn einer gegen die Regeln verstößt, „dann gibt’s schon mal was auf die Nase“.
Bandenhafte Strukturen
Aus Angst sei keiner bereit, offen über die speziellen Strukturen zu sprechen, sagt Fink. „Doch als unsere Mitarbeiter nachgefragt haben, ob das Ganze womöglich schon bandenhafte Strukturen hat, da gab es keinen Widerspruch.“
Den aber gibt es von Hartwig Kistner, Geschäftsführer des Diakonischen Werks im Ev. Kirchenkreis An der Ruhr: „Wir haben von Zwangsstrukturen bislang nichts gehört.“ Dabei sind seine Mitarbeiter nah dran: als Streetworker, als Personal in der Teestube Auerstraße oder der Notschlafstelle Kanalstraße. Lediglich von Menschen, die betteln, habe er Vergleichbares erfahren, sagt Kistner, aber niemals von Flaschensammlern. Die hätten im Übrigen ganz unterschiedliche Gründe für ihr Tun; Armut gehöre sicherlich dazu, aber nicht in jedem Fall. „Da sind auch Senioren drunter, die eine Rente haben und sich etwas dazu verdienen wollen.“
Ein Insider: Es gibt erbitterte Kämpfe um Reviere
„Es gibt definitiv Kämpfe um die besten Reviere“, sagt ein 49-Jähriger, der namentlich nicht genannt werden möchte, sich aber selbst bezeichnet als einer, der sich in der Obdachlosenszene auskennt. Und noch etwas sagt dieser Mann: „Ich habe schon verbale und körperliche Auseinandersetzungen beobachtet, vor allem unter Bettlern. Es geht dabei immer um die besten Plätze. Und es geht dabei immer darum, was das meiste Geld bringt“, so der 49-Jährige.
Für die Polizei ist das Ganze „Neuland“. Laut Sprecherin Tanja Hagelüken ist den Beamten „bislang nichts bekannt von bandenähnlichen, gar mafiösen Strukturen“ unter gewissen Flaschensammlern. Klar sei aber: Sobald aus einem einvernehmlichen, daher straffreien Organisieren der Szene ein Unter-Druck-Setzen oder gar ein Betrügen werde, wäre das ein Fall für die Polizei.