Dortmund. . Pfand ist verlässlicher als Aktien: Winfried R. verzockte ein Vermögen – heute sammelt der 74-Jährige Flaschen in Dortmund. Fünf bis zehn Euro verdient der ehemalige Bankangestellte damit.
Geld hat ihm kein Glück gebracht. Vor allem früher nicht, als Winfried R. noch bei der Bank gearbeitet und sein eigenes Gehalt der Börse zum Fraß vorgeworfen hat. „Es gab Zeiten, da habe ich acht Mille verloren – an einem Tag.“ Heute läuft es besser. Er ist umgestiegen, sammelt jetzt aus Mülleimern, Containern und Sträuchern leere Flaschen. Pfand ist verlässlicher als Aktien, es lässt sich sicher kalkulieren. Acht Cent gibt’s für die Bierflasche, der Kurs fällt nie. Millionär wird er mit diesem Straßengeschäft auch nicht, aber es bessert seine Rente auf.
Wenn er an Spieltagen loszieht, wenn er sich unter die 80.000 Fußballfans mischt bei den Heimspielen des BVB, dann ist die Konkurrenz groß. Dann ist Winfried R. einer von vielen Dortmunder Flaschensammlern und trotzdem ganz anders. Die meisten sind mit Einkaufswagen unterwegs, um möglichst viel von dem wertvollen Müll der Stadionbesucher aufpicken zu können, aber das macht er nicht. Der 74-Jährige nimmt nur mit, was er in Taschen und Tüten zu den Pfandautomaten der Supermärkte tragen kann. Er ist keines dieser verkorksten Geschöpfe, kein Bettler oder Verlierer der Gesellschaft. Er ist der Banker zwischen den vielen gebrochenen Gestalten, und er ist nicht stolz drauf.
Sein Leben lang wollte er Geld machen
Aber er findet es auch nicht schlimm. Weil er sein ganzes Leben lang versucht hat, aus allem Geld zu machen und damit so oft gescheitert ist, und die Freude am Dasein immer stärker war als jeder finanzielle Misserfolg. Weil er so ein positiver Mensch ist. Wenn er von früher erzählt, von seiner Jugend in Südafrika, davon, dass er Englisch und auch Afrikaans spricht, dann tut er das mit einem Lächeln. Das verschwindet auch nicht, wenn er das Thema wechselt und die 200 000 verzockten Euros und katastrophalen Fehl-Spekulationen ins Spiel kommen. „Es ist doch nur Geld“, sagt er und freut sich, dass er so gesund ist.
Alt will er werden und hat gerade eine Anleihe gekauft, die festgelegt ist, bis er 80 ist. Aber dieses wilde Spekulieren hat er aufgegeben. 34 Jahre hat R. bei der Bank gearbeitet, „Kasse, Schalter, Kontoführung – ich habe alles gemacht“. Zuerst in Dortmund, die letzten sechs Jahre in Hamm. Bei den Kollegen war er beliebt, weil er so ein herzlicher, unkomplizierter Typ ist ohne Allüren. Und weil er nichts krumm genommen hat. Auch nicht, wenn sie ihre Sprüche gemacht haben. „Checker“ haben sie ihn genannt, und flapsig dahergeredet: „Achtung, der Checker steigt ein, höchste Zeit, die Aktien zu verkaufen“, erzählt er und blinzelt mit wachen blauen Augen.
Es ist Geschichte. Heute besteht seine Arbeitskleidung aus einer grünen Jogginghose, Ballonseide, einer dunklen Daunenjacke, festen Fellschuhen und einer Wollmütze. Wäre er damals so bei der Bank aufgetaucht, hätten sie ihn wohl noch nicht einmal durch den Schornstein reingelassen.
In den 1990ern entdeckte er die Spielbank
Flaschen hat er schon gesammelt, als er noch Banker war. In den 90ern begann das, es war eine harte Zeit für ihn. Denn neben der Börse hatte er damals die Spielbank für sich entdeckt – und auch diese Liebe war einseitig. Er zahlte ein, nichts kam zurück. „Einmal hatte ich zehntausend Mark mit Aktien gewonnen, und schon am nächsten Abend alles in der Hohensyburg verjubelt. Ich war spielsüchtig.“
Mehr Geld musste her, der ledige Mann wollte so reich werden wie seine Schwester, der in Südafrika eine Firma gehört. Da blieb nur eins: tagsüber das Bankgeschäft, abends der Containerjob. Damit hat er auch weitergemacht, als ihn der Direktor zur Rede stellte. Er hatte ihn erwischt: „Sie können das nicht machen, das ist schädlich für unsere Bank.“ Konnte er doch. „Es war meine Freizeit.“
Heute bezeichnet er seine finanzielle Situation auch dank seiner Rente als „entspannt“. Mit der Zockerei hat er aufgehört, als er eines Abends eine alte Frau von der Spielbank mitnahm, die sich noch nicht einmal mehr eine Fahrkarte zum Bahnhof leisten konnte. „So wollte ich nicht enden.“
Die Aktienkurse beobachtet er weiterhin, aber meistens nur als Zuschauer. Flaschen sammelt er dagegen immer noch. „Ich hätte es nicht mehr nötig, aber es macht Spaß und hält fit.“ Unter der Woche zieht er ein paar Stündchen durch das Dortmunder Kreuzviertel und stochert mit einer alten Grillzange in den Containern herum, am Wochenende mischt er sich unter die Fußballfans. Stundenlohn? „Fünf bis zehn Euro.“ Sein größter Erfolg war die Meisterfeier des BVB im vergangenen Jahr. Da hat er hundert Euro gemacht. Und das Beste: Keinen Cent davon hat er verzockt.