Gelsenkirchen. Was ist es ein Gefühl, für ein paar Cent in anderer Leute Müll zu wühlen? Auf das angewiesen zu sein, was andere wegwerfen? Unsere Kollegin Daniela Mederake hat es ausprobiert, zusammen mit ihrer kleinen Tochter. Sie erlebte Geringschätzung, aber auch Hilfsbereitschaft.
Bei Schalke-Spielen sind die Reviere zum Flaschensammeln abgesteckt, die Pfandgeldjagd wird zum Sport. Aber wie fühlt es sich eigentlich an, aus purer Not in Abfallkörben zu wühlen, um mit dem Müll anderer irgendwie an Geld zum Überleben zu kommen? Ohne Selbstversuch lässt sich das kaum nachfühlen. Heute Abend ist es soweit: Ich bin in der Innenstadt zum Flaschen sammeln. Mal sehen, was dabei rum kommt. Meine elfjährige Tochter ist dabei – auch um zu sehen: Wer reagiert darauf?
Die erste Tour beginnt Ecke Husemannstraße/Ahstraße und führt zur U-Bahnstation Heinrich-König-Platz. Zäh und mühselig beginnt unsere Arbeit, denn es sind keine Flaschen in den Abfallbehältern. Essensreste und benutzte Servietten wie Sand am Meer, ebenso wie andere Sachen, in die keiner gerne fasst, um eine Flasche aus dem Eimer zu ziehen.
Das einzig scheinbar Lukrative sind Getränkedosen. Auch in den Abfallbehältern in der U-Bahn Station ist Ebbe. Die Passanten gehen unterdessen kommentarlos an uns vorbei. Die meisten schauen weg, ignorieren uns. Einige schütteln den Kopf, werfen uns geringschätzige Blicke zu. Mein Kind fragt, wie viel Geld ein Flaschensammler wohl an einem Tag verdient; ich kann die Frage (noch) nicht beantworten.
Handschuhwechsel vor der Kirche
Vor der Probsteikirche ist ein Handschuhwechsel fällig. Fischreste in der Tonne! Das riecht unangenehm, aber eine Mehrwegflasche Bier mit 15 Cent Pfand liegt darin. Ich putze sie mit einigen benutzten Servietten ab und lege sie in meinen blauen Sack, den ich dafür vorgesehen habe. Wir biegen in die Bahnhofstraße ab und stellen jeden Mülleimer auf den Kopf.
Plötzlich empört sich ein vorbeigehender Mann: „Ich finde das unzumutbar, dass Kinder zum Flaschen sammeln mitgenommen werden.“ Im Hintergrund spielt eine Band, es beginnt zu dämmern. Eine friedliche Kulisse. Die Leute, die durch die Straße laufen, lauschen dem Rhythmus oder trinken und essen an den aufgestellten Ständen.
Pfand oder nicht?
Wir treffen auf die Konkurrenz. Der junge Italiener klärt uns in seinem gebrochenen Deutsch darüber auf, auf welchen Flaschen und Dosen Pfand ist, denn ich kenne mich nicht so genau aus. Unsere tatsächlichen Einnahmen betragen 0,58 Cent ,und das nach einer Stunde Arbeit. Ein hartes Brot! Wir sind geschockt. Den halben Sack voller Dosen schmeißen wir wieder in den Müll. Es ist kein Pfand drauf. Die Büchsen wurden offenbar im Ausland gekauft.
Der Italiener verrät uns: „Ich kriege kein Geld von der Arge. Die Sachbearbeiterin kann ich auch nicht richtig verstehen, wenn sie mit mir spricht. Seit sechs Jahren bin ich in Deutschland und hab davon die ersten viereinhalb Jahre gearbeitet. Dann wurde ich arbeitslos. Seitdem kriege ich kein Geld, weil ich arbeiten soll. Ich muss Flaschen sammeln, um leben zu können.“
Meine Tochter lernt gerade, dass ihr Spaß an der ungewöhnlichen Aktion für andere bittere Not ist. Wie viel er an diesem Abend verdient? „So 18 bis 20 Euro.“ Dabei kennt er die Orte, an denen man erfolgreich sammeln kann. Wir überlassen ihm verschämt unsere 58-Cent-Beute und wissen nun, was wir ahnten: Flaschen sammeln aus Not ist bitter, sehr bitter.
Der Weg der Getränkeflaschen